Sunday, December 10, 2006

Wüstenschlampen


In fünf Jahren hab ich mich zur perfekten Wüstenschlampe entwickelt. Ich fahre manchmal tagelang nicht in die Stadt und auch sonst nirgendwohin und finde das herrlich. Telefon und Internet verbinden mich mit der Welt, da muss ich nicht auch noch persönlich hin. Ich schreibe am Morgen und abends und bastle am Nachmittag. Kakteen pflanzen, Stacheln aus der Haut entfernen, Hund abschrubben und zum Trocknen raushängen, Bilderrahmen streichen, Mosaiktische bauen und die gelegentliche Putzaktion, was man halt so macht hier draussen. Dass der Wüstenwind da Gedanken an trendige Tenues und Make-up zerstäubt, versteht sich. Das geht nicht nur mir so. Auch eingefleischte Fashionvictims auf Besuch aus der Schweiz sind schnell angesteckt. Das erste, was wegfällt, ist das gute Lederschuhwerk. Und schon nach einem Tag können sie sich partout nicht mehr erinnern, warum sie all die schicken Klamotten mitgeschleppt haben und lassen sich gehen. Der Koffer steht zum Bersten voll im Weg rum und die Jogging Kleidung, bei den Europäern meist fesch und mit teurem Label versehen, wird zum guten Stück, mit welchem man hier oben selbst im Supermarkt noch overdressed ist. Das Wüstenschlampendasein scheint den Europäern zu gefallen. Sind ihre Maschinen erst mal auf das hiesige Tempo runtergefahren, sind sie kaum mehr anzukurbeln. So kommt zum Beispiel mein Freund Anwar jedes Jahr nach geschäftlichem Superstress, um vom Sofa drinnen aufs Sofa draussen zu wechseln und die Aussicht zu geniessen. Jeden Tag. Von morgens bis abends. Mein Vorschlag, ihm den an mein Grundstück grenzenden Joshua Tree National Park von innen zu zeigen, wurde schon zwei Jahre hintereinander aufs nächste Jahr verschoben. Das ist schon recht so. Was eine rechte Wüstenschlampe ist, verinnerlicht die Gegend durch Beobachten der Stille, der wechselnden Farben und durch kräftiges Einatmen des Wüstenaromas – Sein eben.

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