Saturday, February 27, 2010

Felsen wie Skateboards


Die Schuhe warens nicht, da sind sich Andrew und Bret einig. Ihre Vans seien für die Expedition bestens geeignet gewesen, behaupten sie. Sie waren in den Berg hinter dem Haus gestiegen und fünf Stunden nicht mehr wiedergekommen. Ohne Wasser, ohne Telefon, nur je ein alter Golfschläger, der auch als Spazierstock verwendet werden konnte, hatten die beiden Jungs dabei. Was ist das mit der offenen Wüste und Golf? Ich finde immer wieder Golfbälle hinter meinem Haus, weil auch Andrew’s Vater Kurt, mein Teilzeit-Nachbar, gern welche in der Gegend rumballert. Wahrscheinlich ist es einfacher, sich der Illusion eines hervorragenden Handicaps hinzugeben, wenn es weit und breit kein Grün gibt. Den beiden Jungs gings weder um Golf noch um Klettern. Sie wollten nur möglichst weit weg von Kurt. Der hatte sich für die beiden allerhand Arbeit rund um die Renovation seines Wüstenhäuschens ausgedacht wie zum Beispiel den Bauschutt hinter dem Haus wegzuräumen. Nach zwei Stunden rief er mich zum ersten Mal an. Er klang wütend. Und besorgt. Ich lief rüber und wir starrten gemeinsam in die von riesigen Felsbrocken übersähten Berge. Nichts. Rufen. Ebenfalls nichts. Nach drei Stunden war Kurts Wut weg und nur die Besorgnis war übrig geblieben. Nach fünf Stunden, als die beiden zerkratzt und geläutert wiederkamen, war sie sofort wieder da, Kurts Wut. Skater Idioten, nannte er sie, nachdem sie erzählt hatten, wie sie sich da oben verlaufen hatten, wie die grossen, runden Steine in alle Richtungen gleich ausgesehen hatten und wie durstig sie waren. Die Oberfläche der Steine sei ihnen vertraut gewesen – genau so rau wie ein Skateboard. Ausser dass man auf Kaktus stiess statt auf Asphalt, wenn man fiel. Irgendwann schafften sie es dank dem Sonnenstand doch noch, zurück zu finden. Der Bauschutt hatte leider gewartet. Der musste immer noch weg. Und Kurt lachte sich ins Fäustchen während er die erste Bierflasche öffnete.

Wednesday, February 17, 2010

Geografie Stunde


90 Minuten habe ich für Sie gelitten. Danke. Bitte. Nicht gern geschehen. Dabei hatte ich nur mehr Informationen zu einem Kolumnenthema holen wollen: Wie kann es sein, dass man ein Wüstenterrain ohne spezielle Identifikationsmerkmale immer wieder gleich durchschreitet, ob man will oder nicht, wie ich an meinen Fussspuren in der offenen Wüste sehe. Im Museum von Twentynine Palms gabs einen Vortrag zu einem ähnlich gelagerten Thema, wie ich zumindest annahm. Ich war stolz auf mich, dass ich das innere Faultier bezwungen hatte und hingefahren war. Für was? Für den schlechtesten Vortrag, dem ich je das Unglück hatte beizuwohnen. Etwa 30 Leute hatten im historischen Schulzimmer Platz genommen und waren gespannt. Die Rednerin und ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde eingeführt. Sie war um die 40 und hatte eine interessante Schönheit an sich. Sie sei als Jugendliche aus Chile eingewandert, erklärte sie ihren Akzent im Grenzbereich des Verständlichen. Als sie erst mal zehn Minuten darüber sprach, über was sie sprechen würde, wusste ich, das wird nichts. Nicht mal der Übergang zum eigentlichen Vortrag war klar auszumachen. Zu diesem Zeitpunkt schliefen bereits drei Leute. Die mickrigen Bildchen und Karten waren die Leinwand nicht wert, auf die sie projeziert wurden. Ich habe gelernt: Wenn man rund um einen ausgetrocketen See antike Werkzeuge aus Stein findet, lässt das auf Wasser und Klimaveränderung schliessen. Hallo? Die Wissenschaftlerin wusste ja vielleicht mehr, aber von Vermittlung hatte sie noch nie was gehört. Am Ende schliefen sieben Leute. Ich blieb wach. Hautsächlich, weil ich sehen wollten, ob man so eine wissenschaftliche Nichtigkeit 90 Minuten lang durchhalten kann. Man kann. Wie sich der menschliche Körper eine unauffällige Wüsten-Topografie immer wieder gleich aneignet, das soll mir doch bitte mal eine anständige geografische Fachperson erklären. Kost und Logis inbegriffen.

Energieverlust


Ich gebs ja zu, wie die meisten Schreiber, versuche ich immer mal wieder, mich vor dem Schreiben zu drücken. Trotzdem hoffe ich, dass ich nicht so plump sein würde, das Stromkabel meines Computers nicht richtig einzustecken. So geschehen letzte Woche. Während ausgiebigem SsS (Surfen statt Schreiben), merke ich, dass die Batterie meines Computers nicht mehr auflädt: nur noch 18% übrig. Umstecken – nichts. Stromschiene ein/aus – nichts. Ersatzkabel suchen – nichts. Wo ich eben noch die Arbeit verdrängte, herrscht ab sofort Panik. Hilfe, ich nun kann ich nicht mehr arbeiten. Mit den letzten Prozent Batterie überprüfe ich, was ich eigentlich schon weiss: der nächste Apple Store ist in Rancho Cucamonga. Was wie ein Ortsname klingt, den Kinder erfinden, gibts tatsächlich. Auch die Distanz ist leider nicht erfunden – über 80 Meilen von meinem Haus entfernt. Kurzes Abwägen von Alternativmöglichkeiten. Ich könnte zu Freunden fahren, die hoch über Pioneertown wohnen. 30 Meilen, Schnee, unwegsame Naturstrasse, Steckenbleiben. Bringt nichts, falls wirklich was Fundamentales falsch ist. Es ist fünf Uhr, der Laden ist bis neun Uhr offen. Computer und Stromkabel eingepackt und ab. Eineinhalb Stunden später stehe ich im Laden. Ob ich online einen Termin abgemacht habe, fragt der Apple Genius Justin. Nein, sage ich, mit unterdrückter Hysterie, das sei ja eben das Problem – ich bin soeben achzig Meilen hierher gefahren. Genius Justin erbarmt sich auch ohne Termin. Er steckt mein Kabel ein, das Lämpchen leuchtet, der Computer lädt auf. Kein fauler Zauber, sagt er und hält zum Beweis seine Hände in die Luft. Ich verstehe rein gar nichts, schliesslich bin ich computertechnisch nicht ungeschickt. Ich fahre die 80 Meilen zurück zur Schreibvermeidung und siniere über den Preis nach, den ich für die Abgeschiedenheit zahle, die ich sonst grossartig finde. Und den Anfang von Grey’s Anatomy habe ich erst noch verpasst.

Erwachsen


Little Dan ist der Sohn meiner Nachbarn. Er ist 23. Das sind sieben Jahre über das Alter, in dem man in den USA Autofahren lernen darf. Seit ein paar Wochen hat Little Dan seinen Führerschein. So lange nicht fahren zu dürfen, hat Little Dan gewurmt, um hier mal mit einer massiven Untertreibung einen Kraftausdruck abzuwenden. Seine Eltern fanden, er sei nicht reif genug zum Fahren. Little Dan hat die Schule früh geschmissen. Arbeit hat er keine gefunden. So lebt er in einem Wohnwagen auf dem Land der Eltern und hilft seiner Mutter, mit dem Ice Cream Truck durch die Wüste zu kutschieren und Eis zu verkaufen. So verdient er sich Zigarettengeld. Ab und zu reichts für ein Computerspiel. Seinem Vater hilft er, Autos zu reparieren. Das interessiert ihn und er würde es auch ohne finanziellen Zustupf machen. Mir hilft Little Dan ebenfalls. Er schaut zu meinen Hunden, wenn ich nicht da bin (und überfüttert sie), macht Gartenarbeit, die mir zu schwer ist, und er kommt und entsorgt tote Hasen, wenn ich ihn in Panik anrufe, weil meine Hunde ausnahmsweise mal einen erwischen. Tote Hasen zusammenwischen – da hört meine Naturliebe auf. Natürlich bezahle ich Little Dan für seine Hilfe – ich bin seine einzige ausserfamiliäre Einkommensquelle. Manchmal fragt er, ob ich nicht mal wieder eine längere Reise unternehmen wolle. Nicht weil er mich nicht mag, sondern weil er Geld braucht. Seit kurzem mag er mich noch viel mehr. Ich habe ihm vorgeschlagen, ihm meinen alten Pickup Truck zu geben und ihn den abarbeiten zu lassen. Er konnte sein Glück kaum fassen. Auf ein Auto zu sparen, wenns keine Arbeit gibt, ist entmutigend. Eins zu kriegen und es abzuarbeiten, hat Little Dan mit einem Schlag erwachsen werden lassen. Prüfung- und Versicherungsanmeldung – alles plötzlich kein Problem. Der Truck ist kaum wiederzuerkennen. Da wird pausenlos geschraubt, geputzt und gewachst. A truck makes a man, I guess.