Saturday, September 29, 2007

Der Reigen


Und plötzlich ist da diese Möglichkeit, durch befreundete Filmer in ein Haus eines der grossen Architekten der Moderne reinzukommen. (Name von der Kolumnistin zurückgehalten – Grund folgt). Da wird die alte Dame interviewt, die das Haus seinerzeit gebaut hat. Sie ist äusserst nett, distinguiert und eben alt und hat darum etwas länger, sich auszudrücken. Wie sie den Architekten gefunden hat, wie sie mitgeholfen hat, das Haus mit ihren eigenen Händen zu bauen, dass es Spass gemacht hat, darin mit Freunden zu musizieren, erzählt sie. Oder besser gesagt, will sie erzählen. Ihre Tochter unterbricht sie die ganze Zeit lauthals und drängt sie, schneller zu sprechen. Sag jetzt dies, Mom, sag jetzt das, Mom. Du willst doch eigentlich sagen, dass, Mom… Bis die Mutter überhaupt nichts mehr sagt und stumm in einer Ecke zusammensinkt. Ich befürchte, es würde unhöflich erscheinen, wenn ich die Tochter jetzt erwürgte und lasse es bleiben. Aber es kommt schlimmer. Die laute Tochter hat den Filmemachern, wahrscheinlich gegen Zutritt zum Haus, eine Szene abgerungen, in der sie mit zwei andern Tänzern durchs Wohnzimmer tanzt. Es handelt sich wohlverstanden um einen Dokumentarfilm über besagten Architekten. Sie habe ihren Körper schon als Kind als Instrument verstanden, hat sie vorhin eingeworfen, als die Mutter vom Klavierspielen erzählt hat – in einem missglückten Versuch, der Mutter vor der Sonne zu stehen. Mir schwant Böses. Dieses plumpe Debakel kann ich mir nicht antun. Ich verabschiede mich überstürzt, was die Tochter mit Enttäuschen quittiert. Dann sehen Sie ja den Tanz nicht, sagt sie. Eben, denke ich. Draussen sehe ich die Kostüme der Tänzer und gratuliere mir zu meinem unfreundlichen Abgang. Ihm fehlten die Worte, um die Szene zu beschreiben, sagt der Produzent am nächsten Tag, gefolgt von: Film kann man schneiden. Und die Moral von der Geschicht: Moderne schützt vor Torheit nicht.

Saturday, September 22, 2007

Winnetou & Co.


Es ist nicht nur die New York Times, die sich wundert und letzthin dem Phänomen eine grosse Geschichte gewidmet hat – es sind auch meine Verwandten in Gallup, New Mexico, die einen Indian Trading Post haben, die sich immer wieder kopfschüttelnd fragen: wie kommt es, dass Busladungen voll deutscher Touristen begeistert Türkisschmuck einkaufen und bei Wildwest-Souvenirs entzückt in Kaufrausch geraten. Nicht dass sie etwas gegen Kaufrausch hätten. Aber der Grad der Verzückung über alles Indianische per se ist doch etwas auffallend. Die Antwort ist natürlich Karl May, der erfolgreichste deutsche Autor aller Zeiten. Hundert Millionen Bücher hat er verkauft, vielleicht zweihundert Millionen, wenn man die Übersetzungen dazu rechnet. Und er hat das deutsche, aber auch das europäische Bild von Cowboys und Indianern und von Amerika im weiteren Sinne für mindestens ein Jahrhundert geprägt. Dass Karl May seinen ersten Indianer im Alter von 66 Jahren traf - auf seiner ersten Amerikareise, lange nachdem er Winnetou und Old Shatterhand zum Leben erweckt hat – hat kaum jemanden je gestört. Es ist ein Zeugnis für seine Imagination und Erzählkunst. Karl May’s Quellen waren Erlebnisberichte von Siedlern. Man nimmt an, dass er seine Geschichten und Figuren im Gefängnis ersonnen und zu schreiben begonnen hat, wo er mehrere Jahre für Diebstahl und Schwindel abgesessen hat. Dass es in Deutschland Festspiele gibt, bei denen Deutsche als Apachen und Navajos verkleidet, rumrennen, kann kein Amerikaner so richtig glauben und Alex schon gar nicht. Alex ist Navajo und arbeitet im besagten Indian Trading Post in Gallup. Er versteht nicht, warum die deutschen Touristen manchmal verzückt auf seine langen Zöpfe zeigen. Wenn sie schon alles über uns wissen, warum dann nicht, dass mit nacktem Finger auf jemanden Zeigen und Anstarren bei uns der Inbegriff von Unhöflichkeit ist, fragt er und lacht trotzdem gutmütig.

Wednesday, September 12, 2007

Legendenbildung


Man kann das Phänomen hier wohl kaum als “urban legend” bezeichnen, denn urban ist es wahrlich nicht an diesem gottverlassenen Stück der Route 66. Die kleine Stadt Amboy, die am nächsten beim Schuhbaum liegt, ist verlassen – tot, von einem Tag auf den andern, als damals in den Sechzigern der Interstate 40 die gemächliche Route 66 ersetzt hat. Ich fahre alle paar Monate an der Geisterstadt vorbei, die nun einer gekauft hat und wieder in Schwung bringen will. Aber da ist noch nichts von Leben. Und dann, eines Morgens, als ich auf dem Weg nach New Mexico bin, ist plötzlich dieser Baum da, an dem hunderte von Schuhen hängen, zusammengeknüpft an den Schuhbändeln und hochgeworfen bis sie an einem Ast hängenbleiben. Bin ich blind? War der immer hier und ich hab ihn nie gesehen, weil man eh nichts sieht, wenn man kurz nach Sonnenaufgang gegen Osten fährt? Nein, glaub ich nicht. Der muss neu sein. Ich bin schliesslich weitsichtig, nicht kurzsichtig. Ich halte an und mache ein Photo – wenn schon mal eine Kolumne am Wegrand wächst. Ich fahre weiter und überlege mir, ob die Reisenden zwischen Las Vegas und Palm Springs hier ihre alten Schuhe entsorgen, nachdem sie in den Outlet Malls mehr Schnäppchen gemacht haben als ihr Koffer fasst. Wieder zuhause, finde ich raus, dass keiner wirklich weiss, woher das Ritual des Schuhewerfens stammt und was es bedeuten soll. Hängen die Schuhe an elektrischen Leitungen, in LA zum Beispiel, nimmt man an, dass es sich um Shoefiti handelt – das Markieren von Gang-Territorium mit Schuhen.
Es könnten aber auch Streiche an Betrunkenen sein, wird eingeräumt. Andere wiederum sagen, der Schuhwerf-Ursprung sei die Freude über das Ende der Militärausbildung. Was gesicherte Information ist: Auf dem Internet kursieren Bilder genau dieses Baumes von 2002 – mit viel weniger Schuhen dran zwar, aber trotzdem. Und ich denke, ich gehe mit offenen Augen durch die Welt…

Wednesday, September 5, 2007

Sondermüll


Fünfzehn Meilen geradeaus gegen Osten liegt die Müllhalde von Twentynine Palms. Auf der Ladebrücke meines Pickup Trucks liegt ein alter Teppich. Der muss sofort aus meinem Blickfeld. Kurz nach acht Uhr morgens fahre ich los. Bei 43 Grad Celsius besucht man eine Müllhalde besser morgens als nachmittags. Weniger Müll und weniger Hitze gleich weniger Gestank. Eine Müllhalde mitten in der Wüste – man könnte Schlimmstes vermuten. Und ist positiv überrascht. Eine breite, perfekt geteerte Strasse führt aufs Areal. Ich halte auf einer riesigen Autowaage beim Pförtnerhäuschen an und steige aus. Das Häuschen ist leer. Ich schaue mich um und sehe eine Frau winkend auf mich zujoggen. Sie hat einen iPod umgeschnallt und nimmt nun die weissen Kopfhörer ab. Ich muss mein tägliches Training absolvieren solange es noch nicht zu heiss ist, sagt sie und nimmt mir zwölf Dollar ab für die Entsorgung. Dann fahre ich zum Gebäude mit dem grossen Loch im Boden. Und sehe, dass das, was von weitem wie eine gepflegte Kakteenlandschaft aussieht, mehr ist als das. Tausende von Fundstücken, offensichtlich vor dem Fall in die grosse, dunkle Grube gerettet, sind hier liebevoll zu witzigen kleinen Szenen installiert. Puppen und Tierfiguren aus Plastik, Holz oder Porzellan bevölkern die Szene, Spielzeugautos sorgen für Transportmöglichkeiten. Es gibt Schaukelpferde neben Plastikpanzern und Pinguinfamilien neben Indianern. Als ich aussteige, um mir das alles genauer anzusehen, kommt eine Frau mit gelbem Helm auf mich zu. Diane, sagt das gestickte Namensschild auf ihrem Hemd. Mit Besitzerstolz zeigt sie auf ihre Installation: das sind vier Jahre Abfallsortieren, sagt sie. Manche denken ich spinne, aber ich mag einfach nicht den ganzen Tag Abfall anschauen. Jeden Abend fügt sie die Fundstücke des Tages hinzu. Jede Nacht kommen die Hasen und stossen Sachen um. Jeden Morgen stellt Diane alles wieder ordnungsgemäss auf.