Thursday, July 17, 2008

Mehr ist mehr


Zuerst ist Vielplatzhaben ein Wunsch. Dann ein Ereignis. Dann eine Gewohnheit. Und dann einengend. Denn hat man sich erst mal an viel Platz gewöhnt, was ziemlich schnell geht, gibts kein Zurück. Alles was weniger ist als viel, ist zuwenig, zu eng. So geht es mir wenigstens, nun, da ich seit fast acht Jahren unter einem grossen Himmel und mit unendlicher Fernsicht lebe. Es macht Spass, Stadtkinder zu beobachten, deren Welt sich auf einen Schlag vervielfacht, wenn sie zu Besuch kommen. Manche stolpern fast über die Weite, ihr Gang wird unsicher, wenn kein rettender Zaun oder ein Möbelstück in Griffnähe ist. Andere versuchen, den Raum in Besitz zu nehmen, indem sie wie wild rumrennen, bis sie todmüde ins Bett sinken. Sogar die kleinsten Kinder sind vom Himmel hier draussen fasziniert; der Mondaufgang ist ein Ereignis, und Sterne kommen in ihrer Welt in dieser Deutlichkeit sonst nur in Kinderbüchern vor. Man könnte denken, Hans-guck-in-die-Luft sei nicht eine Figur aus Struwwelpeter, sondern hier draussen in der Mojave erfunden worden. Apropos viel Platz – da fällt mir doch gerade ein, dass ich Ihnen schon lange nicht mehr vorgejammert habe, dass ich zwar viel Platz, aber keinen Swimming Pool habe. Es ist heiss, Abkühlung würde mir gut tun. Vor zwei Jahren, ich erinnere mich genau, haben wir, Sie und ich, in dieser Kolumne abgemacht, dass Sie mir einen Pool spendieren, falls Sie im Lotto gewinnen. Nun mal Hand aufs Herz, niemand von Ihnen hat in der Zwischenzeit im Lotto gewonnen? Das kann fast nicht sein. Es würde mich sehr enttäuschen, wenn ich erfahren müsste, dass jemand von Ihnen mich um meinen rechtmässigen Anteil an Ihrem Gewinn betrogen hätte. Ich werde schon aufpassen, dass die kleinen Kinder nicht reinfallen, versprochen. Das mit dem vielen Platz ist wie im richtigen Leben – es gibt immer Mehr. Eben einen schönen, grossen, tiefen, langen Swimming Pool zum Beispiel.

Der Mond ist falsch


Ich suche die farbigen Pyrex Schalen aus dem Fünfzigerjahren, sage ich zum alten Mann auf dem Flohmarkt in Yucca Valley. Sein Stand ist eine der festinstallierten Hütten, er ist jeden Samstag und Sonntag hier. Der Mann dreht sich wortlos um und macht sich an einer sandigen, zerfledderten Kartonschachtel zu schaffen. Hier, ein perfektes Set von Cinderella Bowls, sagt er und streckt mir die Superstücke stolz entgegen. Ich schlage sofort und ohne zu feilschen zu. Er weiss, was er hat, und ich weiss, was ich will. Er besteht darauf, die Schalen einzeln in Zeitungspapier und dann einzeln in Plastiksäcke zu verpacken. Er sucht nach Zeitungspapier unter der Theke. Es ist etwas falsch mit dem Mond, sagt er, als er wieder hochkommt, haben Sie das auch bemerkt? Nein, nicht wirklich, sage ich etwas ratlos. Ich habe keine Ahnung von was er spricht an diesem sonnigen Sonntagmorgen. Die Mondumlaufbahn, die ist total verschoben, insistiert er. Jede Nacht etwas mehr. Da muss ich mich mal drauf achten, sage ich ausweichend. Ja, machen Sie das, ich sage Ihnen, ich kenne mich aus mit dem Mond. Ich war Wetterbeobachter in der Armee, in Japan und überall. Er macht eine weit ausladende Handbewegung, bei der ihm eine der Schalen fast aus der Hand rutscht. Seit 1954 lebe ich in der Wüste und ich liebe es, ausser damals, als ich von einem Arizona Skorpion gebissen und monatelang ausser Gefecht gesetzt wurde. Ich bin 78 und mache immer noch Gartenarbeit, falls Sie mal jemanden brauchen – Milton Gurley. Er schreibt mir seine Nummer auf das Zeitungspapier, mit dem er die letzte Schale einpackt. Das Militär, die wissen das bestimmt mit dem Mond, die sagen nur nichts. Geheimsache. Ich frage, ob ich ihn fotografieren darf, als er mir die Plastiksäcke entgegenstreckt. Er winkt ab. Zu alt und zu hässlich, lacht er. Milton Gurley, denke ich nachts, als der Mond aufgeht, sieht doch alles gut aus. Aber was weiss ich denn schon.

Zwangsspass


Sie hat wieder mal drauf bestanden, meine Freundin JB. Es muss sein, hat sie gesagt, du kommst oder du kriegst Minuspunkte in meinem Freundschaftsbuch. Wer will schon sowas. Warum es ausgerechnet Bowling sein muss, wissen die Götter. Und wie ein Ex-Las Vegas Showgirl zu Bowling kommt, wissen nicht mal diese. Zugegebenermassen, die Bowling Bahn in Pioneertown ist die schönste der Welt. Ein Fünfziger Jahre Relikt, perfekt erhalten, mit Original Wandzeichungen von den Disney-Zeichnern, die sich hier in der Bowlingbahn dieser Westernstadt, die als Filmset gebaut worden ist, die Zeit vertrieben haben. Du könntest mir doch endlich Line Dancing beibringen bei Pappy’s and Harriet. Ich weiss, dass in der Bar nebenan heute eine gute Band spielt. Aber davon will JB nichts wissen. Too close to home, sagt sie nur. Sie spricht nicht gern über ihre Zeit in Vegas. Dabei würden mich doch all ihre Showgirl Geschichten brennend interessieren. Und was genau passiert ist, dass sie kaum mehr darüber sprechen will. Ich führe nun ein normales Leben, sagt sie stolz, ein normales, kleines Leben hier draussen in der Wüste, dafür ist es meins. Und darum gehen wir bowlen, schick dich drein. Sie schubst mich zur Theke, wo die Bowling-Schuhe vermietet werden. Ob die wohl auch original sind, frage ich mich und versuche, mir auf keinen Fall vorzustellen, wieviel Stinkfüsse in meinem rot-blauen Paar in den letzten fünfzig Jahren gestanden haben. JB ist nun in ihrem Element. Sie bringt mir ein Bier, das hier in grossen Konfitüren-Gläsern serviert wird. Wenn ich das schon nur anschaue, kriege ich den Arm kaum mehr hoch. Aber nach ein paar fürchterlichen Runden punkte sogar ich manchmal, obwohl mein Arm sich anfühlt, als würde er ganz einfach abfallen und mit der nächsten Kugel mitrollen. Ich jammere. Oh come on, you sissy, hast du Angst, dass du morgen nicht mehr tippen kannst? This is fun, right? Alright, alright, this is fun.