Friday, July 31, 2009

Fluchtversuch


Ja ja, ich gebs ja zu – ich bin ein Schwächling. Ich bin der Wüstenhitze entflohen. Selbstverständlich ist dieses Bild nicht inmitten von Stein und Sandbergen aufgenommen, sondern in Meeresnähe, wo ich mich gerade abkühle. Und obwohl ich immer sage, die Hitze mache mir nichts aus, hats mich für eine Weile zum Pazifik gezogen. In den letzten Tagen wird allerdings empfohlen, das kühle Nass entlang der Küste von Los Angeles zu meiden, weil es zur Zeit besonders hohe Wellen gibt, die sehr schnell sehr gefährlich werden. Es ist eine Empfehlung, der speziell übers Wochenende nur mässig nachgekommen wird, denn ich höre sehr viel öfters Sirenen von Rettungsfahrzeugen und Helikoptergeknatter als üblich. Tsunami Alarmstufe gibts aber keine, aber wenigstens wüsste man dank der neuen Signaletik, wo man denn hinlaufen müsste, im Fall der Fälle. Ist ja auch nicht besonders schwer – vom Meer weg ist eine ziemlich narrensichere Strategie.
Zwischen 25 Grad und 41 Grad liegen mehr als 16 Grad Unterschied. Bei 25 Grad kann ich auch nachmittags arbeiten und muss (oder darf) nicht flach wie eine Flunder auf kühlere Zeiten warten. Oder besser gesagt, das Feld der Fluchtmöglichkeiten vor dem Schreiben ist verführerisch breit. In der Stadt müssen Schnäppchen gejagt sein, da muss Kaffeeklatsch gehalten und am andern Ende der Stadt Vietnamesich gegessen werden. Und in der Stadt müssen die Haare professionell blondiert werden, anstatt sie in schlechter alter Wüstenschlampen-Manier selber mit Bleiche vollzukleistern und so zu verbrennen, dass sie abbrechen, nur weil man keine Geduld hat, auf die Profis zu warten. Und dann ist plötzlich fertig – frisch frisiert oder nicht. Ab in die Wüste, ab in die Weite, ab in die Stille, ab in die Hitze, die sich fast anfassen lässt. Es geht immer schneller, dass mir das Stadtleben gestohlen bleiben kann. Landschaftliche Schönheit ist mindestens so stimulierend.

Wednesday, July 22, 2009

Nachtrag


Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle über meine Navajo Freundin Bessie geschrieben und dass sie am Grauen Star leidet. Mit keinem Wort und keinem Hintergedanken habe ich darauf hingedeutet, dass die Operation für Bessie und ihre Familie ein finanzielles Problem darstellen könnte. Ich weiss ja von ihr, dass das staatliche Indian Hospital in Gallup für die Kosten aufkommt. Insofern haben die Navajos, oder die Diné, wie sie nämlich wirklich heissen, sowas wie eine kostenlose medizinische Grundversorgung – wenigstens ein finanzieller Vorteil gegenüber den Anglos. Darum dann auch mein Erstaunen, als sich in den Tagen nach Erscheinen der Kolumne drei Leserinnen und Leser gemeldet haben, die finanzielle Hilfe für die Operation angeboten haben. Ich habe Bessie und ihre Familie nochmals gefragt zur Sicherheit, ob die Operation sie auch wirklich nichts koste. Bei der ganzen Krankenversicherungs-Diskussion hierzulande kann ich das machmal selber kaum glauben. Ich habe Bessie erzählt, dass sich in der Schweiz Leute um sie sorgen. Das hat sie gerührt. Und ich hab die Angebote der Leser herzlich dankend abgelehnt. Ein Mann aber hat sich nicht abweisen lassen wollen. Er habe das Geld jetzt innerlich schon gespendet, sagt er. Es sei nun an mir rauszufinden, wie ich es den Navajos zukommen lassen könne. Ob er es auch für Bessie’s Alterspflege spenden würde, frage ich, da der Graue Star nur eines ihrer gesundheitlichen Probleme ist. Ja, gern, sagt der Mann. Ich hätte gute Neuigkeiten, sage ich Bessie’s Töchtern. Sie bestellen mich zum Frühstück in Gallup. Als ich ihnen sage, ein Leser bestehe darauf, ihnen für Bessie’s Pflege finanziell unter die Arme zu greifen, fangen sie sofort an zu weinen. Dass es sowas gibt, sagen sie immer wieder – Unterstützung vom andern Ende der Welt. Der Kellner besteht darauf, dass wir alle zusammen ins Bild rücken. Aber erst, als die beiden Damen sich etwas erholt haben.

Wednesday, July 15, 2009

Testosteron pur


In Sachen Wild West Romantik ist “meine” Mojave Wüste etwas für Weicheier verglichen mit Gallup, New Mexico. Letztes Wochenende hat dort wie jeden Sommer “The Wild Thing Bullriding Championship” stattgefunden. Die Arena ist gross und wunderschön inmitten von roten Felsen gelegen, und sie ist brechend voll. Ein Grossteil der Zuschauer Navajos von Jung bis Alt, aber auch viele Anglos, wie die Weissen hier heissen. Und drinnen fliesst das Testosteron in rauen Mengen. 90 Verrückte haben sich für die zweitägige Championship angemeldet und 175 Dollar Startgeld bezahlt, um hoffentlich länger als acht Sekunden auf einem kickenden Bullen zu reiten, bevor sie abgeworfen werden. Die Hälfte der Cowboys sind Navajos aus der Gegend, der Rest kommt aus den ganzen USA, aber es haben auch schon mal Reiter aus Australien teilgenommen. Manche Cowboys reisen von einer Championship zur andern und hoffen auf Preisgeld. Aber nur die ersten Acht zählen zu den Glücklichen, und nur der Gewinner kriegt 5500 Dollar. Es ist ein harter Weg, sein Geld zu verdienen. Und ein gefährlicher. Die Ambulanz wartet vor der Arena und sie wird einige Male gebraucht. Kurz bevor’s losgeht, wartet der Bulle in einem engen Gehege bis der Reiter sein Seil richtig festhält, dann gibt er ein Zeichen, das Tor wird geöffnet und der Bulle rennt wild kickend in die Arena. Der Reiter darf sich nur mit einer Hand am Seil festhalten, die andere Hand darf weder das Seil noch den Bullen berühren. Die meisten fliegen bereits vor der Acht-Sekunden-Marke – die Glücklichen im hohen Bogen, die andern gefährlich nah unter den Bullen. Ich hab Männer noch nie so schnell aufstehen und loslaufen sehen. Nicht minder spannend ist das Pausenprogramm: die Wollenreiter – vier bis sechsjährige, meist Navajojungs, die es in vollen Cowboy-Outfits den Alten gleichtun, einfach auf Schafen. Ich kann vermelden – Bullriding wird nicht aussterben, der Nachwuchs ist stark.

Sunday, July 12, 2009

Geschichten erzählen


Bessie ist wieder mal zu Besuch – wie fast jedes Jahr. Bessie gehört zum Stamm der Navajo-Indianer und wohnt weit draussen im Reservat ausserhalb Gallup, New Mexico. Über die Jahre ist sie eine Freundin geworden. Sie kommt gern für ein paar Wochen zu Besuch. Dass sie eine Freundin in Kalifornien hat, die sie in die Ferien holt, bringt ihr Respekt ein im Reservat und innerhalb ihres grossen Clans. Sogar ihre Grosskinder sind neidisch, sagt sie fröhlich. Bessie ist innerhalb weniger Jahre gebrechlich geworden. Neben andern Problemen hat sie den Grauen Star und braucht eine Operation. Trotz allem ist sie guter Laune wie immer. Was sie am liebsten macht dieser Tage – Geschichten erzählen und Geschichten hören. Selber lesen kann sie nicht mehr. Sie erzählt, wie sie als Sechzehnjährige für zwei Jahre nach Utah geschickt worden ist in eine von Weissen geleitete Schule und wie den Navajo-Kindern dort der Mund mit Seife ausgewaschen wurde, wenn sie ihre eigene Sprache sprachen anstatt Englisch. Ich rechne nach. Das war ironischerweise nach dem Zweiten Weltkrieg, also nachdem die Sprache der Navajos in Südostasien zum unpenetrierbaren Code und von kriegsentscheidendem Vorteil geworden war. Und sie erzählt, wie sie nach dem Tod ihres ersten Mannes für eine Weile bei seinem Stamm, den Tesuque Indianern in der Nähe von Santa Fe gewohnt hat. Und wie sie von dort mit ihren damals zwei Kindern abgehauen ist, als die Tesuques sie als Navajo-Frau hätten zwingen wollen, an ihren traditionellen Tänzen teilzunehmen. Sie will, dass ich ihr meinen Roman vorlese, was ich gerne tue. Wenn meine Stimme heiser wird, weil ich grad eine Grippe hinter mir hab, wartet sie geduldig und schaut in die Weite der Mojave. Trink Tee, sagt sie, nur damit sie mir ein weiteres Kapitel abluchsen kann. Und wenn ich mich dann überreden lasse, strahlt sie glücklich. Storytelling – the old Navajo way, sagt sie, I like it.