Thursday, March 26, 2009

Lage der Nation


Vor ein paar Wochen ist es mir zum ersten Mal aufgefallen. Immer öfters komme ich mit leeren Händen von einem meiner Abstecher durch die Secondhand Läden der Gegend zurück. Und glauben Sie mir, das ist normalerweise nicht mein Problem. Ich kann üblicherweise jedem noch so heruntergekommenen Secondhand Laden ein schönes Glas abringen oder einen speziellen Scheidenschal, ganz zu schweigen von Stühlen oder meinen farbigen Pyrex Schalen, die ich sammle. Und nun – nichts. Flaute. Freundinnen in Los Angeles berichten vom gleichen Phänomen. Seit dem Finanzdebakel – kein einziges Schnäppchen weit und breit. Vor allem die Kleidergestelle sind ausgeweidet in Los Angeles – von einer Clientele, die bis anhin bei allem, was schon mal getragen worden ist, die korrgierte Nase gerümpft hat. Nun muss die Schwellenangst zur Billiglösung überwunden werden. Der Mensch muss sich schliesslich kleiden und sich wenigstens der Illusion hingeben können, er konsumiere. Nun bin ich grundsätzlich dafür, dass Menschen ihren Horizont erweitern und zu neuen Ufern aufbrechen, aber nicht, wenn die Neo-Schnäppchenjäger in mein Territorium eindringen und mich aufs Trockene setzen. Ich beschliesse, in Palm Springs den ultimativen Test zu machen. Palm Springs ist das Secondhand Mecca schlechthin mit seiner überwiegend gutsituierten, eher älteren Bevölkerung. Hier tauchen oft grossartige Midcentury Modern Design Stücke zu Spottpreisen auf. Aber auch hier treffe ich auf die gleiche, ausverkaufte Trostlosigkeit. Das Ganze hat also System. Meine Systemanalyse: Man spart, in dem man Secondhand kauft und versucht, seinen Besitzstand zu wahren. Der Markt ist noch nicht überfüllt mit guten Stücken, nur mit mehr Leuten, die nach ihnen suchen. Der nächste Schritt: mehr gute Stücke als Leute, die nach ihnen suchen. Meine Strategie: Sprungbereit abwarten. Dann, zur Stunde X: zupacken. Memo: Truck mit grosser Ladefläche mitbringen.

Sandbunker


Kurt weiss, dass die Idee nur bedingt gut ist. Das gefällt ihm besonders am Golfspielen inmitten von Sand und Sträuchern. Er sucht sich in Secondhand Läden und auf Flohmärkten alte Golfbälle zusammen und hat die auf der Ladebrücke seines Pickup-Trucks immer griffbereit. Kurt ist Feuerwehrmann in Los Angeles und hat von seinem Vater ein kleines Haus geerbt, das schräg hinter meinem steht. Und mit klein meine ich eine Hütte, Gartenhäuschengrösse. Land hat er dafür umso mehr: 8,5 Fussballfelder (FIFA-Norm). Das Haus, das aus einem einzigen Raum besteht, baut er nun aus, Küche, Badezimmer, Wohnzimmer. Und alles das auf circa 14m2. Ich muss Kurt fassungslos angestarrt haben. Seine Frau hat nur entschuldigend mit den Achseln gezuckt. Er lacht und hält die Tür zu seinem Reich auf, damit ich mich selber überzeugen kann. Kurt ist zwar ein grosser Geschichtenerzähler, aber tatsächlich – Duschschrank mit Toilette und Küchenzeile, auch Waschbecken genannt, alles im Rohbau. Geduscht wird zur Zeit noch im Freien. Ein Bett haben die beiden schon vor einer Weile gebracht und sie geniessen die einfachen Tage und Nächte hier draussen. Wir gehören zur Sandwich-Generation, sagt Kurt, wir schauen zu unseren fast erwachsenen Kindern und zu unsern alten Eltern. Dieses Haus ist unser Palast, fügt er hinzu und dreht sich um seine eigene Achse, wobei er mit ausgestreckten Armen fast von Wand zu Wand fassen kann. Der Mensch muss ja schliesslich irgendwohin abhauen können und seine Ruhe haben. Beim Wort Ruhe lacht seine Frau laut los. Der sitzt ja keine Minute still. Um das unter Beweis zu stellen, geht er hinaus mit seinem Golfschläger. Das heutige Abschlag-Training muss noch absolviert werden. Und obwohl er nur die ältesten Bälle kauft mit der festen Absicht, sie eh zu verlieren, versucht er später obsessiv, alle sechsunddreissig wiederzufinden. Ohne Erfolg. Wieviele Golfbälle passen auf 8,5 Fussballfelder (FIFA-Norm)?

Tuesday, March 10, 2009

Idiotie


Wenn die Hunde bellen, denk ich immer erst mal an Kojoten. Aber das waren keine Kojoten ausserhalb des Zauns, die meine Hunde innerhalb des Zauns in Rage versetzten. Nach einer Weile hörte ich Motorenbrummen, dann das Aufheulen von Motoren. Was ums Himmels Willen…? Ich lief raus. Verdammt. Zwei Offroader Töffli auf vier Rädern, oder ATV oder Quads, wie die Scheissdinger richtig hiessen. Ein mittelalterlicher Er breitbeinig auf rotem Töffli, eine mittelalterliche Sie auf gelbem Töffli kurvten verbissen durch das offene Wüstengelände rund um mein Haus, und fuhren eventuell eine der kostbaren und vom Aussterben bedrohten Babyschildkröten tot. Nun war ich in Rage. Zugegebenermassen hatte ich hier erst ein Mal eine Babyschildkröte gesehen und die war auf der Sandstrasse vom Mistkübelwagen plattgewalzt worden. Das war zwar ungünstig, aber da konnte irgendwie niemand was dafür. Aber die Quads, die fuhren schlichtweg über Wüstenblumen, Kakteen und alles was mir sonst noch lieb war hier draussen. Nun hielten die beiden an und beugten sich über etwas wie ein Handy. Ich lief zum Tor und fragte, was sie da suchten. Mein Tonfall muss schon freundlicher gewesen sein, denn die beiden stiegen ab und kamen mir leicht eingeschüchtert entgegen. Sie seien auf Schatzsuche, sagten sie. Schatzsuche? Das war wohl ein Witz. Sie erklärten mir des langen und breiten, dass sie dem neuen Zeitvertreib des Geocatching frönen, bei dem Leute irgendwo auf der Welt Schätze vergraben – Schätze, die nichts wert sind, wohlverstanden – dann im Internet die Koordinaten hinterlegen, damit andere bei dieser Schnitzeljagd mittels GPS fündig werden und das wiederum auch auf dem Internet kundtun. Dass Kinder das toll finden, leuchtet mir ja ein, aber die gehen auch zu Fuss. It’s a lot of fun, you should try it. Yeah, right, murmelte ich, you Töfflidubel. Sorry, what did you say? Oh, Töfflidubel, it’s how we say good-bye in Switzerland.

Magere Zeiten


Das ist nicht das Geschäftsschild meiner Nachbarin Sandy. Das ist eines, das ich irgendwo in Arizona fotografiert habe, weil ich alte Neons mag. Sandy hat kein Neon Schild für ihr Geschäft, sie hat einen Glacéwagen. Glacélastwagen könnte man auch sagen. Mit dem tuckert sie über die Sandstrassen hier oben und auf die Marinebasis und verkauft ihre Waren. Die Geschäfte laufen OK zur Zeit, sagt sie. Das Wetter ist mild und die Leute halten ihre Kinder mit billigen Vergnügen bei der Stange, wenn sie sich keine grösseren leisten können. Auch Sandy und ihr Mann können sich keine grösseren Vergnügen leisten, vor allem nicht das, was sie sich am meisten wünschen – dass sie von der Wüste wegziehen können. Danny möchte gern irgendwo in Iowa an einem See wohnen und fischen. Tja, mit dem Fischen gestaltet sich das hier in der Wüste tatsächlich eher schwierig. Aber mit dem Wegziehen auch, denn mittlerweile hat ihr bescheidenes Haus durch die Immobilienkrise so sehr an Wert verloren, dass man nirgendwo anders was für das Geld bekommt, wenn sich überhaupt ein Käufer für das Haus finden würde. Immerhin ist es abbezahlt. Da geht es Sandy und Danny besser als vielen. Nur darum kann so ein Glacé Business die dreiköpfige Familie über Wasser halten. Aber das hindert sie nicht, immer mal wieder zu betonen, dass sie die Wüste gar nicht mögen. Dass ich aus einem Land wie der Schweiz hergezogen bin, leuchtet ihnen nicht ein. Dass ich Kakteen liebe, ebenfalls nicht. Dass ich die Weite, das Fehlen von Grasgrün und das Licht liebe – “Liliane’s crazy” sagen sie liebevoll kopfschüttelnd. Dass es für sie sowas wie zuviel Sonne gibt und sie am hellheiteren Tag die dicken Vorhänge ziehen, will wiederum mir nicht in den Kopf – “Sandy and Danny are crazy” denke ich liebevoll und bin froh, dass sie nicht wegziehen können, weil sie gute Nachbarn sind und zu meinem Haus schauen, wenn ich mal nicht da bin. Verkehrte Welt.

Kleinvieh


Einmal Monat kommt der Mann von der Pest Control vorgefahren. Nicht einfach so. Ich hab ihn bestellt. Dreissig Dollar kostet mich der Spass jedes Mal. Und das ist es mir allemal wert, dass mir keine Skorpione und dergleichen unfreundliches Geviech über die Schwelle kommen. Ich hasse den Gedanken, dass ich eines Morgens – nicht nur wie, sondern tatsächlich – von der Tarantel gestochen aufjucken könnte, wenn ich meine Schuhe anziehe. Auch rote, stechige Ameisen kann ich auf den Tod nicht leiden. Die machen juckende Hautreizungen, bei denen ich nicht an mich halten und kratzen, kratzen, kratzen muss. Da gehe ich dann in zwei Tagen durch ein Röhrchen Parapic. (Ich bin ja sonst nicht der importierende Typ, wie manche Schweizer, die alles aus Helvetien mitbringen, weil es eh besser ist als das amerikanische Zeugs wie sie sagen – warum wohnen die hier? Aber Parapic, sag ich Ihnen…) Der Pest Control Mann sprüht dann einen etwa 20cm breiten Streifen ganz nah rund ums Haus und die Pest, wie man ennervierende Insekten und Pflanzenschädlinge hier nennt, muss draussen bleiben. Responsible Pest Control steht auf dem Auto. Ist ja schön, dass er mit Pest und Umwelt verantwortungsvoll umgeht, aber ehrlich gesagt, wenn ich zwischen Gift und Pest wählen müsste – Gift. Gnadenlos. Was immer es ist, was der Mann da sprüht, es funktioniert. Ich habe noch nie unliebsamen Besuch im Haus gehabt. Was für ein Job, denk ich jedesmal, wenn ich den Mann sehe. Das muss sich der Mann auch denken, denn nach ein paar Mal kommt ein anderer. Ich hab schon viele von ihnen kennengelernt. Sie sind immer nett, jung, rosa, dicklich und schwitzend. Frisch ab Presse ist ihr Mitteilungsbedürfnis darüber, was sie im eintägigen Kurs über Ungeziefer gelernt haben, zu gross. Auf diesem Gebiet bin ich lieber unwissend. Wenn sie nur gegen geschmacklose, grosse Viecher am Rande des Highways auch einen Spray hätten. Responsible oder nicht.