Tuesday, June 26, 2007

Geschwindigkeitsrausch


Mit sieben Jahren Verspätung hat das 21. Jahrhundert nun auch mitten in der Mojave Einzug gehalten – das Internet kommt seit ein paar Tagen über Satellit zu mir ins Haus gerauscht und nicht mehr über die gute, alte Telefonleitung, und damit meine ich nicht DSL, sondern Wüstenschildkrötentempo mit einwählen und Knirsch- und Pfeiffton abwarten. Alle habe ich sie madig gemacht, wann denn nun endlich das schnelle Internet zu einem vernünftigen Preis zu haben sei – Telefongesellschaften, die Kabel TV-ler und die Satelliten TV-ler. Wahrscheinlich geht bei deren Telefonzentralen nun ein Alarm los, wenn meine Nummer auf dem Display erscheint. Man sagt, die Wüste sei ein idealer Ort zum Meditieren. Das kann ich nur bestätigen – ich habe hier draussen schon unzählige Stunden damit verbracht, auf meinem Computerscreen einen blauen Balken anzustarren, der langsam von links nach rechts hoppelt – und meinen Geist dabei langsam entweichen zu sehen. Und dann kommt es plötzlich, das Superangebot. Zwei junge Männer krakseln auf mein Dach, montieren eine nicht gerade dezente Schüssel (was mir in diesem Fall egaler nicht sein könnte) und nach einer halben Stunde hat das Leiden ein Ende. Was ich mit der gewonnenen Zeit alles machen würde, hab ich mir im Vorfeld überlegt: körperliche Ertüchtigung, Abtragen des Berges mit den nie geöffneten Büchern, perfekte Pedicure und so weiter. Und was habe ich gemacht? Auf der ABC Website Folgen von “Grey’s Anatomy” nachgeholt, die ich verpasst habe, auf iTunes “Joan as Policewoman” runtergeladen und mich auf youtube wieder einmal von Eddie Izzards Brillianz überzeugt, von der ich schon vorher überzeugt war. Am liebsten hätte ich gar eine meiner Kolumnen von letztem Jahr rezykliert, um noch mehr Zeit verdummen zu können. Und was hat das Bild mit dem Text zu tun? Absolut nichts. Das Foto hab ich vor einer Weile bei meinem Zahnarzt in Palm Springs gemacht. Kein Witz.

Tuesday, June 19, 2007

Jetzt oder nie


Es ist heiss im Juni in der Mojave. Warum ich ausgerechnet jetzt meine vielen Schranktüren und Schubladen in der Küche streichen muss – keine Ahnung. Aber heute ist der Teufel in mich gefahren: ein Hauch von Hellblau muss her. Ab zu Walmart, was als Billigwarenhaus nicht gerade die erste Adresse für Spezialwünsche ist, aber die nahegelegenste; Farbmüsterli bits jedenfalls. Ich decke mich mit allen Hellblaus ein und lasse nach langem Hin und Her zwei kleine Testbüchsen mischen. Ich weiss, wie schwierig es ist, die Farbwirkung von einem kleinen Muster im Laden auf eine grosse Fläche zuhause zu Extrapolieren - eine Riesentonne Orange in meinem Besitz zeugt davon. Jerry hinter dem Ladentisch ist zwischen siebzig und achzig (alte Leute (für wenig Geld) zu beschäftigen, gehört zu Walmarts Gepflogenheiten), und er trägt eine Flaschenbodenbrille. Er geht mit dem Computerscreen auf Tuchfühlung und mischt gemäss den Vorgaben. Die Kolben, aus denen er verschiedene Farbtupfer in meine weisse Büchse fallen lässt, sehen nicht sehr präzise reglierbar aus. Dann schluft er zur Mischmaschine und lässt schütteln. Er macht mit dem Finger je einen Farbtupf aufs Müsterli – zum Vergleich – und trocknet ihn mit einem Föhn. Dann stellt er mir die Büchsen zum Frass hin. Peppermint Vinca 92413 ist so präzis, dass man den Farbtupf kaum sieht. Bluebell 92423 ist so daneben, dass ich es aus drei Meter Entfernung sehe. Jerry zuckt nicht mit der Wimper. Das ist aber nicht wirklich Bluebell, Jerry, sage ich. Das könnte gerade so gut Boathouse oder Water Dance sein. Er stellt die Büchse wortlos zum Berg derer, die ebenfalls nicht auf Anhieb gelungen sind und setzt wieder neu an – ahhhh, Bluebell. Zuhause trage ich die beiden Farben an einer der Schranktüren auf und beobachte, wie sie sich mit den Lichtverhältnissen verändern. Am nächsten Morgen ist klar – Rainwater 92402 muss her. Sorry, Jerry. Da müssen wir jetzt durch.

Thursday, June 14, 2007

Wallfahrtsort


Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als an dieser Stelle endlich mal über das Harmony Motel zu schreiben. Es gehört in diese Reihe von Geschichten aus der High Desert. Das Harmony Motel kann nichts dafür, dass ich seinen berühmtesten Gast nicht mag. Es sitzt nur da am Strassenrand in Twentynine Palms und wartet, wer daherkommt und in einem seiner sieben Zimmer absteigt. Seit 1952 hat es da gesessen. Bis 1986 vier Männer aus Irland gekommen und ein bisschen geblieben sind. Aus dem sagenumwobenen Aufenthalt im Harmony Motel ist das U2 Album “Joshua Tree” hervorgegangen, eines der besten Alben der Achziger Jahre, wie viele Musikkritiker meinen. Durch den Albumtitel hat eine ganze Generation überhaupt erst von der Existenz eines Baums namens Joshua Tree erfahren. Fans haben erfürchtig die Gegend durchforstet und den auf dem Album Cover abgebildeten Baum vergebens im Joshua Tree National Park gesucht. Einer hat ihn gefunden – im Death Valley. Er hat die Stelle mit Steinen markiert, dem Baum ein ein kleines Denkmal gesetzt, als er tot umfiel und alles auf einer Website dokumentiert. Der U2 Aufenthalt und das Joshua Tree Album haben zur Legendenbildung des Harmony Motels beigetragen und ihm trotzdem kein Glück gebracht. Mindestens fünfzehn Besitzer hat es durch die Jahre gehabt. Keiner von ihnen hat das Motel renoviert – bis auf die jetzige Besitzerin. Mit Teppichen und sonstigen modernen Annehmlichkeiten hat die Frau aus Südafrika dem ursprünglichen Charme der Einfachheit den Garaus gemacht. Sie bediene eine neue Art Kundschaft, sagt sie und gibt sich Mühe, nicht zu werten. Ich habe wirklich nichts gegen das Harmony Motel. Nur gegen Bono’s heutige Omnipräsenz und seinen besitzergreifenden Anspruch auf Weltverbesserung. Kann man überhaupt etwas gegen einen haben, der seinen Einfluss dazu nutzt, gegen die Verschuldung der Dritten Welt anzukämpfen? Aber sicher doch. Ich kann das.

Tuesday, June 5, 2007

Wo wohnen Sie?


Hier draussen in der Weite der Mojave ist das eine einfache Sache mit den Strassennamen –wer zuerst kommt, benennt. Oft kann man anhand der Strassennamen rausfinden, an welcher Strasse welches Haus zuerst gebaut worden ist, denn die meisten Leute wählen ihren Familiennamen. Jackass ist kein Familienname. Jackass ist eine Beleidigung. Es ist einerseits die lockere Benennung für einen männlichen Esel. Und es ist andererseits, und weitaus häufiger in Gebrauch als Angriff auf jemandes Intelligenz. Wie zum Beispiel in der MTV-Serie “Jackass”, in der sich junge und nicht so junge Männer mit dummen Stunts gegenseitig zu überbieten versuchen und ihre Ehrerbietung erweisen – so sehr Jackass, dass es schon wieder als cool gilt. Meine Überraschung ist also gross gewesen, als ich das Jackass Trail Strassenschild ein paar Strassen von meinem Haus entfernt zum ersten Mal gesehen habe. Zuerst habe ich mir für einen Moment allen Ernstes überlegt, ob es hier wohl mal wilde Esel gehabt hat. Selber einer, dachte ich dann über mich selber. Ich habe mir weiter vorgestellt, dass man, wenn man von einem Cop angehalten würde – was mir ja nie passiert, da ich mich immer innerhalb der Geschwindigkeitslimite bewege – auf die Frage, wo man wohnt, laut Jackass sagen könnte, gefolgt von einem leisen Trail. Die Vorstellung vom darauffolgenden Wortwechsel hätte mich schon fast zu einem Gesuch nach Umbenennung meiner Strasse bewogen. Kürzlich hat mir mein neuer Nachbar Karl erzählt, dass er bei seiner Vorstellungstour durch die Nachbarschaft Mitchell getroffen hat, einen Ex-Marine Soldaten und derjenige, der dem Jackass Trail den Namen gegeben hat. Er sei ein Jackass, dass er Land in der Wüste kaufe, habe seine Frau von Anfang an gesagt. Und das sei ihm dann in den Sinn gekommen, als die Stadt gefragt habe, wie die Strasse heissen soll. Nicht weiter erstaunlich wird das Schild regelmässig gestohlen. Und wieder ersetzt.