Saturday, November 21, 2009

Der Cowboy, der aus der Kälte kam


R. ist wie jeder andere Vierjährige – voller Schalk und Entdeckungsdrang. Er lebt in Los Angeles, aber er mag es sehr gern, wenn seine Eltern mit ihm zu mir auf Besuch kommen. R. mag die offene Wüste. Er er mag, dass wir auf den Berg hinter dem Haus steigen und er unterwegs seinen Holzstock in die Ameisenhügel stecken kann. Und er mag, dass es unendlich viel Platz gibt und meist warm genug ist, dass Innen und Aussen ineinander übergehen und er mit seinem Laufrad überall rumkurven kann. Auch wenn er gerne Feen und Prinzessinnen hat und seiner Freundin Zoe sogar ab und zu in ihre rosa Pantoffeln folgt – R. mag Cowboys. So sehr, dass er zur Zeit am liebsten als Cowboy in den Kindergarten geht, Stiefel, Lasso und Hut eingerechnet. Sein “Hände hoch”, sein breitbeiniger Gang und wie er seine Daumen in seinen Jeanstaschen einhakt – Texas lässt grüssen. Aber R. hat mit Texas rein gar nichts zu tun. R. heisst wirklich Ruslan und wurde nördlich vom Polarkreis in Murmansk, Russland geboren, wo ehemals die Sovjet U-Boot Flotte beheimatet war und heute hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die ersten zwei seiner Lebensjahre hat Ruslan drei Stunden von Murmansk entfernt, in Apatity, in einem Kinderheim verbracht – einem guten Kinderheim, wie Ruslans Eltern Leslie und Arlen fanden, nachdem sie Ruslan dort mehrere Male besucht hatten, bevor die Adoption rechtsgültig wurde. Vor einem ihrer Reisen zu Ruslan hatte ich Leslie und Arlen gebeten, mir eine Postkarte von Apatity zu senden. Ich habe keine erhalten – es gibt keine Postkarten in Apatity. Heute zeugt nur noch Ruslans Name von seiner Herkunft. Wenn zufälligerweise irgendwo Russisch gesprochen wird, hört er hin, versteht aber nur noch wenig. Er hat Glück gehabt mit seinen Eltern und sie haben Glück gehabt mit ihm. Wenn ich mit dem kleinen Cowboy durch die Wüste gehe, stelle ich mir sein Leben vor, wenn er nicht adoptiert worden wäre und kriegs nicht hin.

Saturday, November 14, 2009

Es ist ein Kreuz


Das müssen sich auch die obersten Richter der Vereinigen Staaten von Amerika sagen, seit sie am 7. Oktober einen ganz speziellen Fall angehört haben und nun darüber befinden müssen. Seit Jahren ist ein wütender Gesinnungskrieg über ein einfaches Kreuz mitten in der Wüste entbrannt. Das Kreuz wurde 1934 von einem Veteranen des Ersten Weltkriegs, Riley Bembry, aus Wasserrohren gebaut und weiss angestrichen. Es ist 2 Meter hoch und 1.5 Meter breit und es soll alle Gefallenen aller Kriege ehren. Bembry hat das Kreuz in der menschenleeren Mojave auf einen Steinhügel auf öffentlichem Land aufgestellt. Und wenn ich menschenleer sage, meine ich, dass mir da manchmal für eine halbe Stunde kein Auto begegnet. Das Kreuz habe ich noch nie gesehen. Seit zehn Jahren müssen die Behörden das Kreuz verstecken, denn die ACLU, die Amerikanische Union für zivile Freiheit, klagte. Das Kreuz als religiöses Symbol dürfe nicht auf öffentlichem Grund und Boden stehen, sagen sie. Die ersten beiden Jahre wurde es mit einem weissen Wachstuch umhüllt. Das war zu einfach wegzuschneiden, also wurde nach zwei Jahren eine Holzkiste um das Kreuz gebaut. Und die gibts heute noch. Manche Leute schreiben was auf die Kiste, dann wird sie wieder neutral übermalt. Die Kiste ist nun auffallender als das feine Kreuz es je war und sieht aus wie eine Plakatstelle, die auf Werbung wartet. Der Fall hat nationale Aufmerksamkeit erregt. Henry und Wanda Sandoz, die Bembry, dem Erbauer des Kreuzes, bei dessen Tod versprochen haben, zu seinem Kreuz zu schauen, waren bei der Anhörung am Obersten Gerichtshof dabei. Sie sind überzeugt - nicht in seinen wildesten Träumen hätte sich Bembry vorstellen können, dass die höchsten Richter des Landes eines Tages darüber befinden würden, ob sein Kreuz Daseinsberechtigung habe oder nicht. Es ist ein Kreuz mit der Religion, sagen die einen. Es ist doch nur ein Kreuz, was solls, die andern.

Friday, November 6, 2009

Prêt-à-porter


Pünktlich zum Beginn der Herbstsaison bleibt hier alles beim Alten. Jeans, Hemd, T-Shirt, und das ists dann auch schon. Im Winter eine Daunenjacke drüber und fertig. Keine neue, allgegenwärtige Modefarbe, keine körperbetonten Schnitte, keine der neuesten Boyfriend Jeans – für Frauen geschnittene Jeans, die so aussehen, als wäre Frau morgens, versehentlich oder nicht, in die Jeans des Boyfriends gestiegen. Wenn Frauen hier weite Jeans tragen, dann sind es tatsächlich die des Mannes und sie sitzen bedeutend schlechter als das, was die Hochglanzmagazine für den Modeherbst 2009 vorgeben. Der It-Bag hier draussen ist nicht die neueste Prada Tasche, auch nicht die neueste Prada-Kopie, sondern die Plastiktüte vom Stater Brothers Supermarkt. Die Wüste war noch nie ein Ort, an dem Modeströmungen auszumachen sind. Zumindest nicht bei den Einheimischen - Paris und Mailand sind verdammt weit weg. Touristen fallen gern als overdressed auf. Immer das Neueste, immer das Beste – sogar für eine Fahrt durch den Nationalpark. Es sind nicht zuletzt die Schuhe, die sie verraten. Aber die teuren Designer-Turnschuhe und die schicken Lederschuhe sind innert Kürze staubig und zerkratzt und nicht mehr von unsern Billigmodellen zu unterscheiden. Nach dem ersten Schock setzt die grosse Erleichterung ein und selbst die Gäste, die mit grossen Koffern angereist sind, lassen diese in einer Ecke verstauben und passen sich an: Jeans, Hemd, T-Shirt, und das ist es dann auch schon. Es ist erfrischend, das Leben als zeitlose Wüstenschlampe. Im Pyjama zum Supermarkt – wen kümmerts. Und apropos zeitlos – manchmal kann man hier anhand der Kleider der Menschen nicht mal die Dekade ausmachen, in der wir leben. Dass in der Gegend überdurchschnittlich viele Mode Fotoshootings stattfinden ist nur eine kleine Ironie des Schicksals. Die Einheimischen lässts kalt und auch die Models verfallen dem Wüstenchic gern nach getaner Arbeit.