Thursday, May 31, 2007

Ich sammle nicht


Mein Freund Josh hat damit angefangen. Vor ein paar Jahren hat er mir von einem seiner Stöbertrips durch Secondhand-Läden ein paar 50-er Jahre Wimpel mitgebracht. Die machen sich gut an deiner Wand hinter dem Billiard-Tisch, hat er gesagt und keinen Zweifel offengelassen, dass er sie da auch sehen will. Ich habe die fünf Fähnchen locker gruppiert und an die falsche Holzwand gepinnt und bewundert. Mit der Ausnahme einer einsamen Schlittschuhläuferin sind es alles Wimpel von Ortschaften gewesen, bunte Reisesouvenirs aus einer Zeit, in der man den Kontinent in bequemen Strassenkreuzern gemütlich nach Sehenswürdigkeiten abgefahren hat. Kein einziger Sportwimpel ist dabei gewesen, da hätte er bei mir auf Granit gebissen, das weiss Josh. Nun hat der Mensch bekanntlich die Angewohnheit, aus Mengen Schnittmengen zu machen und diese nach Gesetzmässigkeiten zu untersuchen. So sind also sämtliche Besucher nach Josh auf denselben Schluss gekommen: Liliane mag 50-er Jahre Reisewimpel und wer ihr eine Freude machen will, stöbert besser welche auf. So jagen sie denn in den hintersten Winkeln der abgelegensten Secondhand-Läden und werden fündig. Das geografische Einzugsgebiet der Wimpel-Ortschaften hat sich mittlerweile von Kanada bis Mexico ausgedehnt, aber die Wand, die ist gleich gross geblieben, links und rechts eingerahmt von Glasschiebetüren. Ich mag die Dinger ja auch, aber ich weiss nicht mehr wohin damit. Wie oft ich sie alle schon dichter gehängt hab, damit das alles schön ebenmässig aussieht und jeder einzelne Wimpel zur Geltung kommt, weiss ich schon gar nicht mehr. Kann ich nun, nachdem ich bald hundert Mal begeistert “ach, wie schön, ein neuer Wimpel” geschrien hab, noch sagen, dass ich die eigentlich gar nicht sammle oder muss ich da jetzt einfach durch? Für den nächsten Besuch werde ich jedenfalls mal locker fünf Hunderternoten nett gruppiert an die grosse Wohnzimmerwand nageln.

Tuesday, May 22, 2007

Was für ein Himmel


Wieder einmal teste ich den Vorführeffekt des Joshua Tree National Parks – meine Freundin Maya ist zu Besuch und hingerissen. Ach, der unglaubliche Balanceakt der Felsformationen und huch, die bizarren Formen der Joshua Trees. Business as usual. Um ihr den ultimativen Schönheitsschock zu versetzen, jage ich meinen Pickup Truck zum Keys View Aussichtspunkt hoch – pünktlich zum Sonnenuntergang. Ihr gehauchtes “fantastisch” gemischt mit “und hier lebst du, du Miststück” signalisieren den vollen Erfolg. Als wir uns von der Sicht losreissen und zurück zum Parkplatz wenden, sehen wir einen stämmigen jungen Mann (siehe figura) seine Ducati fotografieren. Oder besser gesagt fotografieren wollen. Er hat sie vor den Sonnenuntergang drapiert und seinen Fotoapparat auf einem Stativ ein paar Meter entfernt postiert. Er nestelt daran herum und flucht leise vor sich hin. Dann rennt er zur Ducati, wirft sich in Pose und dann - nichts. Im Wettlauf mit dem sich langsam auflösenden Superabendrot rennt er wieder zur Kamera und versucht es von Neuem. Ich wittere eine Kolumne und meine Chance. Natürlich ganz und gar allein aus reiner Nächstenliebe biete ich an, ihm behilflich zu sein. Er nimmt dankbar an. Er habe nur noch zwei Fotos auf dem Film, sagt er. Gott sein Dank. Ich verschiesse die zwei Bilder schnell und biete ihm nun an, ihn mit meiner Digitalkamera aufzunehmen und ihm die Bilder zu schicken. Er ist begeistert. Und lässt sich nun von mir auf seinem Töff, entschuldigung Ducati, herumdirigieren. Ich werde ihn nun anblitzen, sage ich, dann kommen sowohl die Himmelsfarben wie seine starken Züge im weissen T-Shirt bestens zur Geltung. Er ist beeindruckt. Ich wage mich immer näher und schiesse noch ein paar Close-ups. Dann zeige ich ihm die Bilder. Er ist fast etwas schockiert ob seinem blendenden Aussehen. Und hingerissen. Wow, sagt er. Und dann mit einer ganz leichten Zeitverzögerung “was für ein Himmel”.

Tuesday, May 15, 2007

Wüstenkoller


Sie haben die Wüste satt, sagen meine Nachbarn Sandy und Danny. Und ihr Sohn, Little Danny, schwatzt es ihnen nach. Seit fünfzehn Jahren leben sie hier und haben schon viele verschiedene Jobs gemacht. Die letzten Jahre haben sie Glacé verkauft. Sandy ist mit ihrem Glacéwagen in Twentynine Palms herumgefahren und hat überall angehalten, wo’s Kinder hat. Danny hat den Wagenpark (auch meinen bescheidenen) in Ordnung gehalten, am Haus rumgebastelt und gekocht. Nun wollen sie nichts wie weg, nach Duluth, Iowa, weil Freunde von ihnen auch da hingezogen sind. Sandy will Wasser sehen. Danny will ein Boot kaufen. Little Danny will fischen. Seit Monaten bringen sie ihr Haus hier auf Vordermann, damit sie es möglichst teuer verkaufen können. Sie schauen sich TV-Heimwerker-Shows an. Und davon gibts viele. Sie borgen sich meine Interior Design Magazine. Davon gibts noch mehr. Dann bastelt Danny alles, was er gesehen hat, ob es ins Haus passt oder nicht. Den neuen Herd aus rostfreiem Stahl haben sie schon gekauft und eingebaut. Der wird nicht gebraucht, obwohl das Umzugsdatum noch völlig offen steht. Der alte Herd steht in der Garage. Jetzt muss dort gekocht werden. Letzthin haben sie einen alten Schulbus gekauft. Das soll der Umzugswagen werden. Danny hat alle Sitze rausgerissen, er will ihn innen neu streichen und mit Teppichen polstern. Immer neue Projekte müssen ebenfalls noch realisiert werden, bevor es losgehen kann. Mir solls recht sein. Ich will nicht, dass sie gehen. Sie sind die besten Nachbarn, die man sich wünschen kann. Und obwohl Danny sich nun sogar eine Allergie auf Wüstenluft zugelegt hat, um zu beweisen, wie sehr er weg will, hoffe ich, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege: Wenn das Haus erst mal fertig ist, wird erstens der Häusermarkt tot sein, und zweitens werden sie nicht mehr verkaufen wollen, weil es ihnen so gut gefällt. Sie gehören in die Wüste. Für mich jedenfalls.

Tuesday, May 8, 2007

Wasserschaden


Ich bin doof. Manchmal kann ich das Ausmass meiner Doofheit nicht fassen. Wie heute wieder. Ich habe einen grossen Maulbeerbaum im Garten - ein ausladendes Teil, das von Jahr zu Jahr übermässig in die Breite wächst. Ich warte schon bis die ersten Äste aufgeben. Die Last der Blätter scheint einfach zu schwer. Der Baum ist so breit, dass man eine grosse Hängematte im Zentrum von Ast zu Ast spannen kann und ihre Länge dann nicht mal einen Drittel des Durchmessers ausmacht. Auf die Bank, die lauschig unter dem Baum steht, wenn man sie denn findet, muss man mittlerweile fast kriechen. Der Baum steht auf leicht abschüssigem Gelände. Wie man das so macht in der Wüste, habe ich ein grosses Bassin um den Stamm gebuddelt und mit einem anständigen Wall aus Sand und Steinen befestigt, damit das Wasser auch die tiefsten Wurzeln erreicht. Da leg ich dann den Gartenschlauch rein, drehe den Wasserhahn auf und laufe weg. Weit weg. Aus den Augen – aus dem Sinn. Ich schreibe, ich plappere am Telefon, ich fahre gar zu Freunden, die fünfundzwanzig Meilen weg wohnen zu Besuch. Stunden später, statt der höchstens dreissig Minuten, die es braucht, bis das Bassin voll ist, merke ich beispielsweise beim Haarewaschen, dass der Wasserdruck nicht ist wie sonst. Dann, der Moment der Wahrheit. Und des herzhaften Fluchs. Einmal mehr ist mir, vrdmmtnchml, der Wall davongeschwommen. Einmal mehr müssen ich und mein Rücken Busse tun– nichts liegt, vrdmmtnchml, schwerer auf einer Schaufel als nasser Sand. Ich mag gar nicht gestehen, wie oft ich den vrdmmtn Wall schon neu aufgebaut habe. Gegen Gedankenstützen bin ich immun. Tiefe, ausgewaschene Furchen verbinden den Baum mit den Oleanderbüschen weiter unten. Diese sind grösser, feisser und haben mehr Blüten als alle andern im Garten. Das einzig Gute: dank meiner Vergesslichkeit habe ich den schönsten Baum im Umkreis von hundert Meilen. Trotzdem. Dachschaden.

Tuesday, May 1, 2007

4 gegen 1


Da fahr ich also letzten Mittwoch durch Arizona auf dem Heimweg von einer Beerdigung in Gallup, New Mexico. In Winslow beschliesse ich, die etwas weitere Route über den Highway 87 nach Phoenix zu fahren, weil da auf einem Teilstück, ein paar Stunden von hier, eine Wildblumen-Pracht zu erwarten ist. Wir, in der Mojave, haben dieses Frühjahr keine Wildblumen, denn es hat kaum geregnet im vergangenen Winter. Ich fahre gedankenverloren durch die menschenleere Steppenlandschaft mit ihren lose hingesprenkelten Pinonbäumen und höre die Musik, die mir ein Neffe zugesteckt hat – Explosions In The Sky – Weston hat schon immer gewusst, was mir gefällt. Mitten auf der Hochebene, werde ich von Strassenarbeitern gestoppt. Ich bin der dritte Wagen. Für eine Weile höre ich Musik und denke darüber nach, wie spektakulär unspektakulär einem der Tod einholen kann. Dann klopft mein Vordermann ans Fenster. Eine Stunde, sagen sie, sagt er und schlurft zurück zu seinem Pick-up Truck. Das ist wohl ein Witz, rufe ich zu niemand bestimmtem. Der bullige Mann mit dem Stoppschild in der Hand macht keinen Wank. Nach einer Weile steige ich aus und gehe zu meinem Hintermann. Eine Stunde, sagen sie, sage ich zum Lastwagenfahrer hoch. Das wird mir den Tag versauen, sagt der seelenruhig hinter seiner Spiegelbrille. Ich hole meine Kamera raus und fange an, Pflanzen und Hölzer am Strassenrand zu fotografieren. Vorsicht, Klapperschlangen, ruft mir einer der beiden alten Rowdies zu, die an den Jeep in erster Position gelehnt stehen. Ihr Annäherungsversuch lässt mich nicht erzittern, man wohnt schliesslich in der Wüste. Später geselle ich mich zu der Gruppe um den Mann mit dem Stopschild. Einmal die Woche fahre er eine Lieferung ins Gefängnis, das ich vor etwa einer halben Stunde passiert habe, sagt der Lastwagenfahrer. Wieviel Insassen hats denn da, frage ich. 1650, wirft der Mann mit dem Stoppschild sofort ein, ich war da 20 Jahre lang Aufseher. Schwere Jungs, sagt der Trucker, sehr schwer. Ich starre auf seine Waden und frage, ob ich seine Tätowierung fotografieren darf. Be my guest, sagt er leicht kopfschüttelnd, lässt sich aber für bessere Lichtverhältnisse leicht drehen. Aber das ist noch lange nicht das schlimmste Gefängnis in Arizona, no no no, sagt das Stoppschild nun und sein Schild steht leicht schief. Perryville, das Frauengefängnis, sei viel schlimmer. Die Frauen da drin seien echt böse, richtig niederträchtig, wie Männer es nicht sein können. Einer der Rowdies geht vor mir in Position. Die Frauen sind auch draussen niederträchtig, lächelt er mich an. Den Nagel auf den Kopf getroffen, findet der Trucker. Ach, kommt Jungs, 4 gegen 1, wo bleibt da die Fairness? Achselzuckend steigen sie wieder in ihre Wagen.