Saturday, December 27, 2008

Finger weg


Alles hatte so gut angefangen letztes Jahr. Schon im Spätsommer war man sich einig gewesen, die Familienweihnacht findet dieses Mal in der Wüste statt. Das Wetter ist meist sonnig, das Haus gross, und die diversen Weihnachslichterketten sind seit einiger Zeit eh das ganze Jahr um den riesigen Kaktus vor dem Wohnzimmerfenster gewickelt geblieben. Einem mehrtägigen, gemütlichen Schlemmen auf diversen Flätz-Sofas stand nichts mehr im Wege. Ich war bereits ab Ende August weihnachtsbereit. Nur eine Bedingung wollten die Lieben erfüllt haben, bevor die Flüge gebucht wurden. Ich musste mich verpflichten, mit meinem digitalen Videorecorder alle TV Folgen von “House”, “Grey’s Anatomy”, “Brothers and Sisters” und eine ganze Saison “24” aufzuzeichnen, was ich geflissentlich erledigte. Was macht man nicht alles, dass die Lieben den Freunden zuhause den Speck durch den Mund zu ziehen konnten mit ihrem Vorabwissen. Um hier niemanden blosszustellen, sagen doch einfach – unglücklicherweise ist das technisch unbegabteste Familienmitglied zuerst angekommen. Und konnte trotz Verbot die Finger nicht vom digitalen Videorecorder lassen, als ich aus dem Haus ging. Nicht mal über meine Leiche dürfen die Europäer meine TV Fernbedienungen anfassen, ohne meinen Einführungskurs absolviert zu haben. Das System funktioniert dermassen anders hier und ist so schnell in den Sand zu fahren – ich spreche leider aus Erfahrung. Auch diesmal wieder. Die fein säuberlich aufgezeichneten Serien waren in der Weite der Mojave verschollen, als ich zurückkam – und die Familie auf sich selber zurückgeworfen. Statt in die Röhre zu gucken, musste geredet werden, statt zu flätzen, mussten lange Fussmäsche absolviert werden. Das war mindestens so komplex wie “Brothers and Sisters” und nur beinahe so spannend wie “24”. Trotzdem, wer meine Fernbedienungen anfasst, kriegts mit der einsamen Rächerin zu tun. Weihnachten hin oder her.

Die Post ist da


Die Informationstafel vor dem Postgebäude ist fast grösser als die Post selber. Und sie ist mit ihrem Betonsockel mit Bestimmtheit stabiler gebaut als das lottrige Holzhüttchen dahinter. Die Inschrift lässt aber keinen Zweifel offen – man befindet sich hier auf historischem Grund. Ob mans glaubt oder nicht, das kleine Postgebäude hier mitten in der Mojave Wüste, unscheinbar ans Ende einer staubigen Strasse gebaut, ist das meist fotografierte Postgebäude der Vereinigten Staaten. Das muss ja wohl ein Witz sein, denkt man erst mal, und hält nach den Busladungen von mit Kameras bewaffneten japanischen Touristen Ausschau. Aber da ist kein Bus. Da ist auch kein Auto. Die Hauptstrasse von Pioneertown ist nur zu Fuss und zu Huf begeh- und bereitbar. Pioneertown wurde 1946 von einer Gruppe von Hollywood Persönlichkeiten, allen voran Roy Rodgers, als Western Film Set gegründet. Die permanente Stadt, im Stil der 1880er Jahre erbaut, hat in über 200 Filmen und TV Serien als Kulisse herhalten dürfen, und noch öfters tauchte sie als Hintergrund für viele weitere Produktionen wie Cisco Kid oder der Gene Autry Show auf. Die Auszeichnung, das meist fotografierte Postgebäude der USA zu sein, nimmt man denn auch mal einfach so für sich in Anspruch, Beweise gibt es keine. Trotzdem: Hier in Pioneertown Post Master zu sein, dürfte doch glatt einer der begehrtesten Posten innerhalb des amerikanischen Postwesens sein. Schliesslich ist die Post wie alle andern Gebäude an der Hauptstrasse massstäblich zu klein gebaut, damit der Westernheld auf Film imposanter aussieht, wenn er vor dem Saloon die Knarre zieht und einen Taugenichts niederstreckt. Und was für John Wayne und Gary Cooper recht war, kann doch für so einen Post Master nur gerade billig sein. Man kann sich schliesslich auch mit einem Postsack in der Hand zu Überlebensgrösse aufplustern und eine gute Figur machen dabei. Oder es zumindest versuchen.

Fegefeuer


Für meinen Freund Ron ist Yucca Valley die Vorhölle. Der hat leicht reden. Er wohnt äusserst malerisch hoch über Pioneertown. Von seinem Haus aus sieht man meilenweit nichts als unberührte Natur in alle Richtungen. Recht hat er trotzdem – die Vorhölle hat nun wirklich wenig Charme zu bieten. Wie Sie im Bild sehen, ist Yucca Valley kein Ausbund an Schönheit. Und es ist nicht so, dass ich lange suchen musste, um dort ein speziell nichtssagendes Bild zu machen. Der Begriff “Strassenzeilendorf” kommt mir aus dem Schweizer Geografie-Unterricht in den Sinn. Obwohl – Yucca Valley wäre wohl eher empört zu wissen, dass ich den Ort als Dorf bezeichne, als dass ich seine mangelnde Schönheit beklage. Man ist stolz, das lokale Business Zentrum zu sein. Und wir, die fremden Fötzel aus den umliegenden Gemeinden, sind froh, dass die Hässlichkeit hier oben mehr oder weniger auf einen Ort beschränkt bleibt. Jede erdenkliche Fastfood Kette ist dem Highway 62 entlang aufgefädelt und geht als Restaurant durch. Ein Autohändler nebem dem andern bleibt auf Halden von grossen Neuwagen sitzen. Der Unterschied zu den Parkplätzen vor den vielen Supermärkten ist lediglich der Glanzfaktor. Ganz offensichtlich werden die Neuwagen regelmässig vom Wüstenstaub befreit – fast so als wollte man verleugnen, wo man lebt. Die grossen Box Läden, wie man sie hier angemessen bezeichnet, sehen alle gleich aus, wie grosse Schachteln eben. Und es sind nur die billigsten und geschmacklosesten wie Walmart, die überleben können. Auch mit meiner und Rons Hilfe, wir gebens ja zu. Das Fegefeuer können auch wir nicht auslassen. Der Mensch will schliesslich essen, braucht ab und an ein Schnupfenmittel oder einen Schraubenzieher. So sind wir Schmarotzer dankbar, dass Yucca Valleys für uns die Drecksarbeit übernimmt und hässlich und schnörkellos funktioniert, damit die Wüstenfanatiker nicht in ihrer Schönheit verhungern müssen.

Projektionsfläche


Die Mojave ist eine halbe Welt weit weg. Die Mojave ist riesig. Die Mojave ist ab vom Schuss. In der Mojave versandet jede Spur. So oder ähnlich müssen meine Freunde in der Schweiz denken, wenn sie sich mein Umfeld vorstellen – bewusst oder unbewusst. Und damit meine ich auch die Freunde, die mich schon viele Male besucht haben. Wie anders ist es zu erklären, dass sich hier draussen Geheimnisse ansammeln, Geheimnisse von geradezu radioaktiver Sprengkraft. Sie werden über die Satellitenschüssel auf meinem Dach in die Inbox meines Mailprogramms gebeamt. Sie werden über Nacht auf meinem Telefonbeantworter geparkt. Und nicht selten werden sie mir zwischen drei und fünf Uhr nachmittags meiner Zeit ins Ohr gesäuselt. Dann ist es in der Schweiz nach Mitternacht. Wen kann man dann noch anrufen mit brisanten Neuigkeiten ausser die Mojave. Der im Verlauf des Abends angetrunkene Alkoholpegel setzt die Hemmschwelle tief und macht die Zunge locker – der Mojave kann mans sagen. Das zählt nicht als Verletzung der Schweigepflicht. Du, heute hab ich sie geküsst und es war schrecklich. Du, jetzt hat doch der eine Affäre. Du, die Kuh hat ihre Geschäftspartner ausgebootet und alle Kunden mitgenommen. Du, dem X hats ausgehängt, der geht. Diese Gepflogenheiten meiner Freunde hier so offenzulegen, birgt keine Gefahr ausser der, dass Sie meine Freunde eines schludrigen Charakters bezichtigen mögen, womit Sie natürlich völlig unrecht hätten. Meine Lieben werden mich trotz allem weiterhin einweihen, denn was raus muss, muss raus. Da gibts nichts praktischeres als eine Freundin mitten in der Mojave und neun Stunden Zeitverschiebung. Die Mojave hört sich alles an. Die Mojave versteht. Die Mojave besänftigt. Und ab und zu macht der Mojavewind aus einer kleinen Windhose ein Orkan und lacht sich ins Fäustchen. Gut dass niemand weiss, dass der feine Mojavesand bis in die Schweiz getragen werden kann.

Wednesday, November 26, 2008

Truthahn Tag


Dieses Jahr wird alles anders sein. Zum ersten Mal in den gut zehn Jahren, in denen ich in Amerika lebe, wage ich mich auf schlüpfriges Terrain vor. Ein Terrain, das selbst vielen Amerikanern den Angstschweiss auf die Stirne treibt, von denen ich ja seit fünf Jahren selber eine bin. Höchste Zeit also, morgen der uramerikanischsten aller saisonalen Tätigkeiten nachzugehen – die Vorbereitung des Thanksgiving Mahls. Wäre der perfekt gekochte Truthahn die Staatsreifeprüfung, gäbe es sehr viel weniger Neueinbürgerungen. Zwar gibt es soviele ultimative Rezepte wie es Familien gibt, und trotzdem lauern der Desaster viele, wenn es darum geht, es den Siedlern und Indianern gleichzutun, die 1621 zusammen das erste Erntedankfest gefeiert haben. Truthahn mit Füllung, Kartoffelstock, Süsskartoffeln, Cranberry Sauce, Mais und Kürbiskuchen gehören auf den Tisch und eine grosse Runde von Familienangehörigen und Freunden darum herum. Und nun da ich all meine Lieben eingeladen habe, verspühre ich ein Herzklopfen, das mit jeder Rezeptvariation, die ich vom Internet runterlade, stärker wird. Glücklicherweise habe ich ein Monster von einem Herd aus den 70er Jahren – unten ein grosser Ofen für den Truthahn, oben ein etwas kleinerer für den Rest. In der Schweiz könnte man Thanksgiving schon darum nicht feiern, weil so ein Vogel nicht in einen durchschnittlichen Schweizer Ofen passt. Mein Truthahn macht sich nun schon seit Tagen in meinem Tiefkühler breit. Und je näher der Termin rückt, an dem ich ihn rausnehmen und bearbeiten muss, desto mehr graust es mir. Ich mag ja Truthahnfleisch gern, wenns schön filletiert ist. Mit was ich nicht gerechnet habe, ist, wie sehr mir schon die Vorstellung widersteht, so ein Unding einzufetten und Füllung reinzustopfen. Aber jetzt ist es zu spät, um meinen Vogel zu begnadigen, wie es der Präsident jedes Jahr mit zwei Truthähnen tut. Meiner muss dran glauben. Und ich damit.

Tuesday, November 18, 2008

Herrenbesuch


Da kamen sie also angefahren in einem abgehalfterten VW Golf, die Jungs aus Tempe, Arizona, für zwei Tage und zwei Nächte, um meinen Neffen Weston zu besuchen, der Blonde im Bild. Hier versammelt sind zwei Drittel der Indie-Rock Band “Small Leaks Sink Ships” mitsamt Entourage. Weston zum Beispiel ist musikalisch so unbegabt, dass es nicht mal für die Dusche reicht, wie er selber sagt (und wie ich auch vermehrt feststellen musste, wenn er mir einen Song vorsingen wollte). Als Hörer hingegen ist sein Geschmack untrüglich und seine Freunde vertrauen auf ihn. Zudem ist er der Hauskünstler der Band, verantwortlich fürs Album-Design. Die Herren haben ein paar Hörproben für Weston mitgebracht (und natürlich ein paar lustige Zigarettchen) und bis tief in die Nacht unter dem Sternenhimmel darüber gesprochen. Um so grösser meine Überraschung als sie mich am nächsten Morgen trotzdem fragten, na ja, es war wohl eher gegen Mittag, ob ich noch etwas für sie zu tun hätte, so rund ums Haus. Inspiriert vom Namen der Band, fielen mir doch einige kleine Lecks ein, die mein Schiff zum Versinken bringen könnten. Da war die eine Aussenwand mit ihren Erdbebenrissen, die neu verputzt werden musste. Nicht zu vergessen der Eucalyptusbaum, dessen unterste Äste mittlerweile über das Dach beim Gästezimmer hinwegkratzten. Zur Verblüffung der so liebenswürdig Hilfe anbietenden Herren waren ihnen die drei Dosen mit dem neuen Verputz schnell in die Hand gedrückt, die Spachtel ebenso. Ich hatte zwar nur eine etwas bessere Laubsäge im Angebot, dafür aber eine gute Leiter, um aufs Dach zu steigen und sich da oben den Arm bis zum Abfallen auszukugeln. Und so sägten sie und verputzten, während ich es mir auf dem Sofa bequem machte und pro forma ein bisschen schrieb. Wenn die Wand denn schon verputzt, das Dach abgedichtet und die Bäume geschnitten werden müssen, warum denn nicht gleich von den Rolling Stones. Oder so.

Wednesday, November 12, 2008

Ödland


“Wir haben es satt, dass die Leute die Wüste als Ödland ansehen”, sagt Donna, die mit ihrem Mann Larry seit 27 Jahren am Fusse des Joshua Tree National Parks Jojoba anbaut. Mit “Leute” meint sie die Investoren und Spekulanten, die sich dieser Tage in Kalifornien mit Solarenergie eine goldene Nase verdienen wollen. Kann man denn überhaupt gegen Solarenergie sein? Kommt auf die Art an, findet Donna. Ihre Aussage bekommt besonderes Gewicht, wenn man erfährt, dass Donna nicht nur eine Jojoba Farm managt, sondern dass sie ebenfalls eine Umweltschutz-Organisation leitet, die sich für die Rechte der Wüstengemeinden und Gerechtigkeit innerhalb der Umweltschutzbewegung stark macht. Warum es sowas besonders in der Mojave Wüste braucht? In Kalifornien ist es Gesetz, dass bis im Jahre 2010 zwanzig Prozent der Elektrizität des Staates von erneuerbaren Quellen kommen muss. Und da man zwei Jahre vor der Zielline noch weit vom Ziel entfernt ist, werden nun auf Biegen und Brechen Solarenergie-Farmen aus dem Boden gestampft, und das ist so ziemlich wörtlich gemeint. Nun ist aber eben die Mojave tatsächlich nicht Ödland, sondern z.B. auch der Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Wüstenschildkröten und Mojave Erdhörnchen. Solarfarmen planieren nicht nur riesige Flächen Land zwecks höchster Effizienz, sie ersticken die Wüstenvegetation im Keim und machen die Sandfläche staubfrei – mittel gesprayter Chemikalien. Und Solar-Farmen brauchen Wasser, viel kostbares Wüstenwasser, um die Panele sauber und effektiv zu halten. Donna und viele ihrer Gleichgesinnten sind zwar für Solarenergie – aber auf den Häuserdächern und für den Eigenverbrauch. Wer hier wohl gewinnt? Ein paar kleine Wüstenaktivisten mitsamt Schildkröte oder die mittlerweile mächtige Solarlobby, welche die Bedürfnisse von elektrizitätshungrigen Millionen-Städten wie Los Angeles und San Diego stillen und damit ein Geschäft machen will.

Thursday, November 6, 2008

Zeitreise


Ich hab keine Ahnung, warum dieses Bild mich fasziniert. Als ich es vor ein paar Jahren im Twentynine Palms Inn zum ersten Mal gesehen habe, war ich davon überzeugt, es bereits zu kennen. Aber meine Nachforschungen ergaben, dass das eine schiere Unmöglichkeit ist. Das Bild wurde 1975 hier lokal gemalt aufgrund eines Fotos aus dem Jahre 1969 – Jahrzehnte vor meinem ersten Besuch in Twentynine Palms also. Vielleicht widerspiegelt das Bild ja einfach mein verklärter Blick auf die siebziger Jahre im allgemeinen und auf die Wüste im speziellen. Filme wie Easy Rider und Zabriskie Point kommen mir in den Sinn, ohne die beiden qualitätsmässig vergleichen zu wollen. Aber sie haben den amerikanischen Westen mit seinen weiten Landschaften auf meiner Top-Ten Fernweh-Liste ziemlich weit nach oben katapultiert, obwohl ich damals noch mit dem Gedanken spielte, ohne Geld und per Autostopp von Basel nach Indien zu reisen. Diesem jugendlichen Leichtsinn hab ich glücklicherweise nicht nachgegeben. Dem mittelalterlichen Leichtsinn nach einem Leben in der Weite des Westens schon, und mit mehr Erfolg, als er der Reise einer Siebzehnjährigen allein unterwegs nach Indien je beschieden gewesen wäre. Und auch wenn ich mich selbstverständlich als eine der jungen Damen im Bild sehe, habe ich trotzdem bereits den halben Weg zur Frau in der gelben Jacke zurückgelegt. “Mrs. Camp’s Thanksgiving Day Party” ist der Titel des Bildes, gemalt von Dean MacKenzie, und ob es kunstgeschichtlich wertvoll ist, könnte mir egaler nicht sein. In diesem Umfeld hier wirkt das Bild übrigens nicht wie ein Siebzigerjahre Portrait, sondern brandaktuell. Alle diese Leute könnte man genauso gestylt heute hier antreffen. Der rechts aussen mit dem weissen Becher ist abgeschnitten mein Neffe Weston, der nun das etwas mulmige Gefühl hat, er schaue sich selber an in einem Bild von 1975. Und Weston ist gerade mal 25 Jahre alt.

Tuesday, October 28, 2008

Kopf im Sand


Und Sand haben wir ja genug hier draussen in der Mojave, dass ich mich während der kommenden Woche darin suhlen kann. Ich mache nun alles, damit ich der Wahlpolitik entgehen kann. Bis jetzt hab ich mich informiert und Debatten geschaut. Ich habe eine Application auf mein iPhone geladen, die mich täglich kontrollieren lässt, wie sich der Vorsprung von Obama auf McCain vergrössert. Ich habe Politblogs mitverfolgt und mich darüber gefreut, dass sich die Rechte immer mehr selbst zerfleischt – nun, da die Zahlen je länger je mehr gegen McCain sprechen. Dass Bush’s Ex-Pressesprecher McClellan sich als Obama Wähler geoutet hat, verursacht ihnen die Krätze. Der ist schliesslich weiss und dem kann man nicht wie Colin Powell (fälschlicherweise natürlich) vorwerfen, seine Position habe nur mit der Solidarität unter Schwarzen zu tun. Und dass McCain so dumme freiwillige Wahlhelfer hat wie Ashley Todd, ist sogar vielen Republikanern peinlich. Ashley hatte der Polizei gemeldet, sie sei von einem Schwarzen überfallen worden, der ihr ein B für Barack ins Gesicht geschnitzt hätte – nur leider war das B falschrum, sie hatte es sich selbst im Spiegel zugefügt. Es sieht also gut aus für uns, und nun, da ich bereits per Post gewählt habe, stecke ich also den Kopf in den Sand vor lauter Angst, dass es dann im letzten Moment doch nicht klappen könnte. It ain’t over until it’s over, wie man so schön sagt. Und da es mir trotz allen Versuchen bis anhin nicht gelungen ist, in einen verfrühten Kurzwinterschlaf zu verfallen, um dann am 4. November abends schlagartig zu Obamas Siegerrede wieder aufzuwachen, muss ich mich nun dem Wüsten-Zen widmen. Ich könnte den Garten zu einer Spirale rechen, die ganzen fünf Acres davon. Oder ich könnte einen Steinwall Stein für Stein um einen Meter versetzen. Aber wahrscheinlich werde ich den Garten virtuell rechen. Zen gibts schliesslich auch als Applikation fürs iPhone.

Thursday, October 23, 2008

Bergpredigt


Jahrelang hab ich es allen Besuchern eingebläut. Schuhkontrolle hab ich gemacht. Mittlerweile getraut sich niemand mehr, bei mir ohne festes Schuhwerk vorzufahren. Wer nur Flip-Flops vorzuweisen hat, kriegt Gartenarrest. Wer nur hundskommune Turnschuhe mitbringt, geht in die offene Wüste, aber nicht auf den Berg. Zu gefährlich. Die Riesensteine sitzen locker auf Sand und fühlen sich auch so an. Nur wer knöchelhohe Schuhe anhat, geht auf den Berg, hab ich gepredigt. Nun ist die Schlangensaison vorbei, was heisst: der Berg ruft, insbesondere die Aussicht. Und was macht die dumme Kolumnistin – sie hüpft mit den Turnschuhen den Berg hoch. Na ja, hüpfen - der Hund ist vielleicht gehüpft. Die Kolumnistin hat gekeucht, aber immerhin, sie hat es nach oben geschafft und hat Haus und Hof fotografiert. Nicht zuletzt für Sie. Man könnte auch sagen, Sie sind schuld. Selbstverständlich ist der Abstieg, wie der gemeine Wanderer weiss, sehr viel fordernder und gefählicher als der Aufstieg. Und die knöchelhohen Wanderschuhe, auf deren Kauf die intelligente Hirnhälfte der Kolumnistin vor ein paar Jahren gepocht hat, wären an den Füssen sehr viel dienlicher gewesen als im Wandschrank. Denn wie nicht anders zu erwarten, strauchelte die Kolumnistin bereits im obersten Drittel, wie sie doch sehr hofft auf einigermassen elegante Art, auch wenn die Grazilität des Falls dem Hund als einzigem Zeugen wahrscheinlich egaler nicht hätte sein können. Immerhin kam die Kamera dabei nicht zu schaden. Dafür aber der Knöchel. Der schwellte denn auf den restlichen zwei Dritteln auch so richtig reizend auf, so dass die Kolumnistin nun auf dem Bürostuhl sitzt, Computer und Bein auf dem Tisch. Samt Eis. Auf dem Bein, nicht dem Computer. Man weiss ja nie bei der.
PS: Ich hoffe doch, lieber Herr Pfarrer H. aus K. in BL, Sie empfinden den Titel dieser Kolumne nicht als Gotteslästerung. Ach nein, Sie doch nicht.

Wednesday, October 15, 2008

Noch drei Wochen


Nach den Wahlen am 4. November wird alles besser, sagt Chester. Er wischt die Theke sauber, nachdem ein Glas voll Bourbon die Strecke bis zu Ted, wie auf dessen Automechaniker-Hemd aufgestickt ist, andern Ende der Bar, nicht ganz sauber zurückgelegt hat. Jemand hat im falschen Moment einen Fünfdollar Schein auf die Theke geknallt. Ted zeigt wortlos auf sein Glas und Chester füllt nach. Kein einziger verlorener Tropfen wird hier akzeptiert. Chester kommt wieder zu mir zurück und lehnt sich über die Theke, wie wenn er sicherstellen wollte, dass niemand anders ihn hört. Das ganze Land spinnt doch, sagt er und deutet auf alle seine Gäste, noch drei Wochen müssen wir diesen Dreck aushalten, dann wird endlich alles wieder normal. Ich schaue mich um. Ehrlich gesagt sehen nicht alle Durstigen hier drinnen so aus als hätten sie mit Regierung, republikanisch oder demokratisch, überhaupt etwas am Hut und als hätten sie überhaupt schon mal gewählt. Wie die Wahl denn ausfallen müsse, damit die Welt für ihn wieder in Ordnung komme, frage ich und deute auf den Fernseher, der grad einen Ausschnitt aus der letzten Obama-McCain Debatte zeigt. Ach, scheissegal, sagt Chester, wirklich, macht überhaupt keinen Unterschied. Ich muss ihn ziemlich verdutzt angesehen haben, denn er macht es sich nun mit aufgestützten Unterarmen auf der Theke bequem, um mir seine Weltsicht zu erklären. Die Börse, sagt er, ist doch auch zusammengeklappt, weil keiner sich mehr um irgendwas kümmert ausser Wahlen, Wahlen, Wahlen. Seit Monaten sind die Würfel in der Luft und keiner weiss, wie sie fallen werden. Darum geht alles vor die Hunde. Von historischer Depression will er nichts wissen. Von historischer Wahl auch nicht. Alle vier Jahre der gleiche Mist, sagt er. Die Fünfdollar Note am andern Ende der Bar schreit nach Bier. Ich komm ja schon, verdammt nochmal, bellt Chester zurück, ich rede hier mit einer Lady.

Nein, Officer


Wirklich, Officer, ich bin unschuldig. Ich hab nicht telefoniert. Ich schwörs. Aber Officer Schindler will nichts hören, nun da er mich auf dem Highway 62 kurz vor der Abzweigung zu meinem Haus zum Anhalten gezwungen hat. Er steht breitbeinig neben meinem Fenster. Ich fahre schon eine Weile hinter Ihnen her und ich hab genau gesehen, wie Sie Ihre Hand ans Ohr gehalten haben. Und in Ihrem Rückspiegel hab ich gesehen, dass Sie geredet haben. Er nimmt seine dunkle Sonnenbrille ab und tritt näher an mein Auto. Er beugt sich runter und schaut sich in meinem Auto um. Seine Augen müssen sich erst vom grellen Sonnenlicht auf das dunkle Wageninnere umstellen. Zeigen Sie mir Ihr Telefon, befiehlt er kurz angebunden. Ich greife nach dem iPhone auf dem Beifahrersitz und bringe insgeheim den Bildschirm des iPhones vom Telefonmodus zum iPod Modus. Sehen Sie, ich habe Musik gehört vorhin. Ich strecke ihm den Bildschirm entgegen, der nun glücklicherweise ein Bob Dylan Plattencover zeigt. Er nimmt das Telefon in die Hand und sieht es sich von allen Seiten an. Dann gibt er es mir wieder. Sein Blick ist immer noch kritisch. Ich haben Sie sprechen sehen… Mitgesungen, ich habe mitgesungen. Man darf ja keine Ohrstöpsel tragen im Auto, das weiss ich doch, Officer, darum höre ich Musik, indem ich das Ding ans Ohr halte, Officer. Mir ist nun ziemlich heiss und ich fächle mir Luft zu. Officer Schindler tritt einen Schritt vom Auto weg und setzt seine Sonnenbrille wieder auf. Ich lasse Sie gehen für heute, Lady, sagt er. Ich weiss, was ich sehe. Ich glaube Ihnen kein Wort. Irgendwas stimmt hier nicht, aber ich weiss nicht was. Aber Officer… Ersparen Sie mir Ihre Lügen, sagt er während er wieder zu seinem Streifenwagen zurückgeht. Er zeigt auf seine Augen, dann auf meinen Wagen. Ich habe Schweissausbrüche. Ich nehme das iPhone in die Hand und stelle auf Lautsprecher. Lügnerin, sagt meine Freundin.

Wednesday, October 1, 2008

Schwarze Wolke


“Was hast du gegen deine eigenen Leute?” ist eine Frage, die Arick Chavez oft hört. Arick Chavez ist vom Stamme der Zuni Indianer. Er lebt in Gallup, New Mexico, und verdient sein Geld als Sicherheitsbeamter. Ich komme ich ins Gespräch mit ihm, nachdem ich beobachte, wie ihn ein Betrunkener ihm vor einem Laden, den er bewacht, anschreit. Gallup liegt inmitten von zwei Indianerreservaten, die Navajos im Norden, Osten und Westen, die Zunis im Süden. Es stört ihn nicht, wenn Zunis oder Navajos nicht verstehen, warum er seinen Job macht. “Du hast mir zu meinem Job verholfen,” sagt er, wenn er wie heute von einem Betrunkenen angemacht wird. “Du bist eine Schande für dein Volk,” sagt er nur im Notfall. Alkohol ist seit langem ein Problem in den Indianerreservaten. Früher kam Marijuana dazu, und gelegentlich Kokain. Heute ist Methamphetamin das grösste Problem. Es ist billig, macht schnell süchtig und ist weit verbreitet. Am Wochenende arbeitet Arick Chavez für lokale Ladenbesitzer, unter der Woche für die Highschool. Da ist die Lieblingsdroge Hustensirup. Gerade letzte Woche habe er im Rucksack eines Sechzehnjährigen sieben Flaschen Robitussin gefunden. Und Aqua Net Haarspray. Die Kids schlagen ein Loch in die Dose, lassen den Druck ab und verdünnen den Doseninhalt mit Wasser und trinken das, klärt er mich auf. Dann lacht er. Sie nennen es Ocean. Ocean High. So kriegt auch das Reservat seinen Ozean, sagt er kopfschüttelnd. Die Kids nennen ihn Black Cloud, nach einem gleichnamigen Film über einen Navajo Boxer. Achtung, Schwarze Wolke kommt, rufen sie und laufen weg von mir, erzählt er, und dann sind sie trotzdem froh, wenn ich ihnen den Magen auspumpen lasse, wenn sie zuviel Meerwasser geschluckt haben. Solange ich Leuten helfe, mache ich meinen Job, da kann mich anmachen wer will. Ich weiss, wie’s einem gehen kann. Ich war selbst in diesem Dunkel für ein paar Jahre, sagt er und nickt lange.

Wednesday, September 24, 2008

Sozialkontrolle


Für zwei Monate lebt mein Neffe Weston bei mir. Er ist jung, malt und muss nachdenken, hat er gesagt, als er mich angefragt hat, ob er mein Studio benützen darf, um hier draussen in der Einsamkeit der Mojave ohne Ablenkung zu einem regelmässigen Arbeitsrhythmus zu finden. Was in diesem Zusammenhang ebenfalls hilft – er darf zur Zeit nicht Autofahren, weil er vor einem halben Jahr in Phoenix einen über die Hutschnur getrunken hat. Er kann also nicht abhauen, wenn ihm die Einsamkeit zuviel wird. Er muss einfach arbeiten. Wir haben einen täglichen Zeitplan entwickelt. Er malt draussen im Studio, ich schreibe drinnen im Haus, wir treffen uns zum Mittagessen und zum Abendessen, danach schauen wir Filme. Das Studio ist übrigens nicht gekühlt. Der Ärmste ist wirklich hart im Nehmen. Nur Phoenix ist noch heisser. Und weil es da draussen so heiss ist, kommt Weston oft rein, um Wasser zu holen. Wobei er mich dann ertappt, wie ich meine eigene, ihm auferlegte Arbeitsmoral nicht verfolge. Am Anfang hat er geflissentlich übersehen, dass ich immer gerade dann telefoniere, wenn er Wasser braucht. Dann hat er übersehen, dass ich ihm mehr Kaffee anbiete als er für eine ruhige Hand brauchen kann – nur damit ich nicht schreiben muss. Heute sagt er, die Küche sei zu sauber, er dulde Putzen nicht als Ausrede, um nicht zu schreiben. Er hat einen durchschauenden Blick und ein dreckiges Lachen entwickelt, was er gnadenlos einsetzt, wenn ich mich in Ausflüchte verstricke. Warum man als Schreiber eigentlich immer davonlaufen muss, fragt er und setzt die Regel in Kraft, dass er jeden Tag lesen will, was ich schreibe. Wenns nicht genau zehn Seiten sind, krieg ich Schelte. So schön, dass du unserm Sohn eine gute Arbeitsmoral beibringst, sagen mir seine Eltern. Mein Versuch einer Richtigstellung verstehen sie als Bescheidenheit meinerseits - Hilfe! Ich habe ein Monster gezüchtet, wie sein Selbstportrait zeigt.

Wednesday, September 17, 2008

Satt, satt, satt.


Satt hab ichs. Jawohl. Jedes Jahr um diese Zeit widerfährt uns hier oben dieselbe Gemeinheit. Wir warten sehnlichst darauf, dass die letzten heissen Tage an uns vorbeischleichen, während in den Läden bereits die ersten Halloween Süssigkeiten auftauchen – Halloween ist erst am 31. Oktober, Himmelherrgottnochmal – und die Modemagazine die Herbst-Kollektionen vorführen. Irgendwann in den letzten Augustwochen kann man die Hitze keine Minute, ach was, keine Sekunde länger ertragen. Jeder einzelne Schweisstropfen scheint nässer als das T-Shirt nach einem stündigen Lauf durch die Juli Hitze. Und dann passierts tatsächlich. Für ein paar Tage anfangs September kühlt es ab, ganze fünf Grad Fahrenheit weniger, abends vielleicht sogar zehn. Unglaublich. Und genauso wie man vorhin mit jeder Person an der Kasse die Hitze verdammt hat, säuselt man nun fröhlich dahin - wie herrlich angenehm die Temperaturen heute sind und wie man endlich wieder weiss, warum man hier wohnt. Und dann kommt sie, die Keule. Es heizt nochmal so richtig auf. Aber nun ist es schlimmer, viel schlimmer als zuvor. Denn in der Zwischenzeit sind die ersten Pullover und Jeans übers Netz bestellt und von UPS ins Haus geliefert worden. Das perfekte Paar Stiefel hat man auch bereits erstehen müssen, die Gelegenheit war zu güngstig, um widerstehen zu können. Und der Wunsch, sich zumindest in eine Schicht mehr einzuwickeln, ist ins Unermessliche gestiegen. Ja und jetzt? Soll ich einen Hitzestau riskieren und die Herbstneuheiten allem zum Trotz tragen? Soll ich einen Regentanz machen, um die Wettergötter zu beschwören – nicht dass ich wüsste wie sowas geht. Ich bin schon so weit, dass ich meine Einladungen nach geographischen Gesichtspunkten annehme. Heute Abend, beispielsweise, fahre ich rauf nach Pioneertown, auf 1200müM. Nach Sonnenuntergang verlangt das nach dem Pullover, langer Hose, einer Jacke und yeahhhhhh, den Stiefeln.

Tuesday, September 9, 2008

Nachbarschaftskriege


Also wirklich. Anfangs fand ich’s ja gut, dass meine fast 90 jährige Nachbarin eine eifrige Internet Benutzerin ist. Ab und zu schickte sie ein Mail die Sandstrasse rauf und fragte nach meinem Befinden. Einmal lud sie mich ein, mit ihr schwimmen zu gehen. Und manchmal, wenn ich bei ihrem Haus vorbeijoggte, machte ich einen Halt um zu sehen, ob alles OK ist. Man redete über dies und über das. Einmal hab ich ihr von einer Hochzeit erzählt und gesagt, Braut und Bräutigam leben schon seit Jahren zusammen. Da hat sie missbilligend den Kopf geschüttelt. Und ich habs sofort wieder vergessen. Nun aber kriege ich immer öfters Emails von ihr. Meistens sind es irgendwelche Massenemails, die sie an alle Leute weiterschickt, die sie kennt. Entweder sind sie christlich, und ich meine kreationsgläubig christlich angehaucht oder sie sind auf dummdreiste Art äusserst rechtslastig – gibt es eine andere Art? Ja und jetzt? Muss ich mich nun mit einer 90 jährigen ansonsten netten Nachbarin anlegen? Ihr einen Computervirus durch die Mojave jagen – nicht dass ich wüsste wie sowas geht. Ich bin ja eigentlich dafür, dass man alte Leute ernst nimmt. Was aber, wenn sie gegen Obama sind und das Internet missbrauchen? Ich bin sicher, sie schüttelt ihren Kopf nicht über die schwangere Teenager Tochter von McCain’s Vizepräsident Kandidatin Sarah Palin. Wie die meisten Republikaner findet sie sowas wahrscheinlich plötzlich völlig OK – life happens. Jetzt plötzlich. Wäre Obamas Tochter 17 und schwanger, wärs ein Skandal. Aber bei Sarah Palins Tochter ists Heldentum, weil die Palins gegen Abtreibung sind und sie das Kind austrägt. Verlogene Doppelmoral geht mir von Jung und Alt gleichermassen auf den Keks. Mhm. Ich erwäge, heute Nacht runterzulaufen und ein Obama-Schild tief in den Sandberg vor ihrem Haus einzubuddeln. Sie ist schliesslich nicht so gut zu Fuss, die Ärmste. Sie müsste es glatt stehen lassen.

Wednesday, September 3, 2008

Ich sammle nicht


Wirklich, ich bin nicht der Jäger und Sammler Typ, auch wenn obenstehendes Bild Ihnen was anderes vermittlen mag. Meine Pyrex Sammlung hat sich über die Jahre ganz von alleine in mein Haus geschlichen. Also erstens kann man eh nie genug Geschirr besitzen, finde ich. Und zweitens nicht dieses. Die bunten Farben haben es mir zuerst angetan – sie passen perfekt in meine Fünfzigerjahre Küche. Dann kam die Formenvielfalt und nun bin ich massloss. Ich will sie alle. Samt und sonders. Ich stöbere durch Second Hand Läden, mit Vorliebe in abgelegenen Gegenden, denn die wissen nicht, was sie haben an diesem uramerikanischen Küchengegenstand. Und was bin ich glücklich, wenn ich für kein Geld fündig werde. Hier oben kennen sie mich schon in den einschlägigen Lokalen. Ach, die wieder mit ihrem Pyrex Tick. Ich will nicht zu auffällig sammeln und mir selbst die Preise versauen. Erfunden hat die Pyrex Backformen die Frau eines Pyrex Wissenschaftlers im Jahre 1913. Pyrex fertigte damals speziell starkes Borosilikat Glas für Zuglaternen an. Und weil die Hausfrau mit ihrer zerbrechlichen Backform nicht zufrieden war, bat sie ihren Mann, ihr was stärkeres aus dem Betrieb nach Hause zu bringen. Sie backte einen Kuchen – und der Rest ist Geschichte. Bis 1927 waren bereits 30 Millionen Pyrex Backformen verkauft worden. Unzählige Farben und Muster hat es in der fast 100 jährigen Firmengeschichte gegeben. Ich habe also noch einiges vor. EBay, zum Beispeil, obwohl ich eBay hasse. Während dem Schreiben dieser Kolumne hab ich nur bei zwei Auktionen mitgemacht. Logisch, orange hab ich schliesslich noch nicht. Und wo wir doch grad dabei sind - viele von Ihnen schreiben mir, Sie reisen öfters durch die USA. Was liegt da näher als dass Sie für mich nach Pyrex Schüsseln und Backformen Ausschau halten. Sie haben ja sonst nichts zu tun in den Ferien. Ich backe Ihnen dafür was. Ob ich dieses Versprechen wohl bereue?

Wednesday, August 27, 2008

Goldgrube


Ich weiss, ich hab an dieser Stelle schon einige Male über Palm Springs hergezogen. Im Speziellen über die vielen Golfplätze mit ihren wasserverschwendenden Rasen. Nun gibts von da unten endlich was Gutes zu berichten. Vor einer Weile hat eine der Nachbargemeinden - Palm Desert – beschlossen, seinem Namen Ehre zu machen und mit der Wässerei aufzuhören. Rasen raus, heimische Pflanzen wie Kakteen, Sukkulenten und andere Wüstenpflanzen rein. Doch mit der neugefundenen Selbstakzeptanz kamen neue Probleme. In den letzten sechs Monaten sind Pflanzen im Wert von über 20 000 Dollar gestohlen worden, und das allein auf öffentlichem Grund. Die Diebe machen auch vor Privatbesitz nicht Halt. Beute erster Klasse ist der Golden Barrel (im Bild). Je nach Grösse bringt so ein Ding zwischen 100 und 800 Dollar auf dem Schwarzmarkt, die ganz grossen mit einem Durchmesser von ca. 80 cm sogar 4500 Dollar. Golden Barrels haben wie die meisten Kakteen keine tiefen Wurzeln und können relativ einfach ausgebuddelt werden – mit Betonung auf relativ. Wer, um Gottes Willen, will denn trotz guter Handschuhe sowas stechiges klauen? Landschaftsarchitekten zum Beispiel, die aufgrund der Wirtschaftslage gezwungen sind, billigere Preise zu machen, sagen die, die’s wissen, die Polizei. Die haben nämlich damit begonnen, den Kakteen Microchips einzupflanzen und Überwachungskameras aufzustellen, nachdem ganze Mittelstreifen am hellheiteren Tag leergeräumt worden sind. Da würde ich ja so stinksauer, wenn mir einer meine mühselig gepflanzten Kakteen klauen würde. Mein Kaktusgarten ist schliesslich mein ganzer Stolz. Nur wer schon mal einen grossen Kaktus eingepflanzt hat, eingewickelt in Teppichstücke und herummanövriert mit alten Gartenschlauchstücken, kann meine Wut verstehen. Microchips und Überwachungskameras sind mir da nicht genug. Meine Kakteen haben GPS und senden Elektroschocks aus. Nur damit das grad klar ist.

Tuesday, August 19, 2008

Boxenstopp


Bis anhin habe ich die langen, und ich meine l-a-n-g-e-n Züge, die den Südwesten durchschlängeln immer bewundert. Ich mag die spärlich beschrifteten Container, deren Farben sich seltsamerweise in diese Wüstenlandschaft einpassen. Ich mag die einsamen Bahnhöfe im Nichts. Vor ein paar Tagen hat sich das alles schlagartig geändert, wobei schlagartig vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Meine neue Abneigung, um nicht zu sagen Abscheu, vor langen Zügen hat sich auf dem Weg nach Las Vegas zum Verwandtenbesuch graduell angestaut. Drei Stunden hin, drei zurück – und eine schöne, einsame Fahrt mitten durch die Mojave. Wie immer, wenn ich in den Sonnenaufgang fahre, gibts Kaffee im Auto, viel Kaffee. (Memo an mich selbst: nie wieder weisses Hemd tragen – Schlaglöcher). Kaffee hat seine Wirkung bei mir. Schon nach einer halben Stunde Fahrt hätte ich anhalten und zwischen der vorderen und hinteren Autotür am Strassenrand schnell und ungesehen mein Geschäft erledigen sollen. Kommt ja nie einer. Geht auch nicht anders – weit und breit keine Bäume, nur mickrige, durchsichtige Sträucher. Und rausfahren kann man auch nirgendwo, weil – Sand. Aber ich hab nicht angehalten, ich kanns schon noch aushalten. Dann plötzlich die geschlossene Barriere. Warten auf den Zug. Ach, endlich. Nervöses Trommeln auf dem Steuerrad. Hat dieser Zug überhaupt einen letzten Wagen? Ungeduldiges Hin- und Herrutschen. Mittlerweile stehe ich mitten im Stau, wo ich doch meinte, ich sei alleine unterwegs. Viele Leute steigen aus. Ich schaue mich nach einem Wohnwagen um, wo ich mal anklopfen könnte. Nichts. Als der Zug endlich durchgerattert ist und alle wieder in ihren Autos sitzen - Schneckentempo. Ich bin wie auf wie auf Schienen eingespannt – Stossstange an Stossstange auf einer einspurigen, schnurgeraden Strasse dem Verderben entgegen. (Neues Memo an mich selbst: weisses Hemd tragen, Kaffeeverbot).

Gelber Plüsch


Zugegeben, es war eine romantische Idee. Aber als sie sich erst mal in meinem Kopf festgesetzt hatte, gabs kein Zurück mehr. Ich würde mit diesem Bus einen Roadtrip machen, verschiedene Freunde für verschiedene Etappen einladen und bleiben, wo es uns gefällt. Gesagt, gekauft. Er war billig, der Verkäufer verlässlich, und das Interieur in gelbem Plüsch gehalten – grossartig kitschig. Und da man in der Wüste keine Platzprobleme kennt, stand der Bus rum bis ich dann irgendwann aufbrechen würde. Einmal kam mein Freund Alex (rechts im Bild) aus New Mexico mit seinem Cousin zu Besuch – eine perfekte Gelegenheit, mir von ihm das Fahren mit so einem Koloss beibringen zu lassen. Alex ist Navajo und steuert und flickt alles, was einen Motor hat. Er war begeistert. Wenn er den hätte, würde er ihn draussen im Reservat neben sein Haus stellen – als zusätzliches Zimmer, sagte er. Endlich hatte ich das Ding durch mein sonst doch nicht so enges Tor gequetscht. Ziel: Twentynine Palms Flughafen (ja, das gibts), was von meinem Haus aus genau eine einzige Rechtskurve bedeutet, danach gehts 15 Meilen schnurgeradeaus. Und obwohl ich wild entschlossen war, das Fahrgefühl zu lieben, fühlte ich mich unsicher. Beim Gedanken, den Bus ohne Alex zu fahren, kam Panik auf. Jetzt nur nicht schon aufgeben, dachte ich, als wir wieder zuhause ankamen. Ich fahr dann sicher irgendwann los. Alex reiste ab. Ich liess den Bus stehen. Und stehen. Meine Neffen fanden mich grossartig – einen Bus als Spielwiese! Die Mäuse fanden die Kabel grossartig. Und irgendwann hatte ich Angst, dass ich das Ding nie mehr loswerde. Ich rief Alex an. Er kam sofort, wieder mit Cousin, um das Ding nach New Mexico zu bringen. Nach ein paar kleinen Reparaturen fuhr er los. Er rief mich nach 30 Meilen an. Er war nur bis zum andern Ende von Twentynine Palms gekommen. Und da steht der Bus immer noch. Wir haben ihn den Barbesitzern da draussen geschenkt.

Wednesday, August 6, 2008

Zeit Management


Manchmal verfluche ich George Klor. George Klor hat mein Haus vor mir besessen. In 28 Jahren hat er einiges im und ums Haus getan. Einen abscheulich gemusterten Plastikboden über den schönen Originalboden in der Küche gelegt zum Beispiel. Oder ein Badezimmer mit hochflorigem, hellblauem Synthetikteppich ausgelegt. George Klor’s Interior Design Sünden habe ich dem Haus ausgetrieben. Seine Landschaftsgestaltung noch nicht ganz. Ein paar langweilige Tännchen hat glücklicherweise irgendein Käfer gefressen. Und die Hecken niederzustrecken, die vor der grossartigen Aussicht standen, war meine erste Amtshandlung. Dann wäre da noch der Oleander, wobei “der Oleander” das Ausmass nicht ganz beschreibt. Wir reden von 51 Oleandersträuchen (ich hab sie gerade zum ersten Mal gezählt und bin schockiert!) und von acht grossen Eucalyptusbäumen, die hier nicht heimisch sind und saufen, was das Zeug hält. Die hätte ich nicht gepflanzt, auch wenn Twentynine Palms seltsamerweise grosse Wasserreserven hat, aber soll ich sie deswegen verdursten lassen? Jeden Sommer spiele ich mit dem Gedanken, wenn eine Wässerungsrunde mindestens 90 Minuten dauert. Und das drei Mal die Woche. Wenn ich dann noch täglich eine Stunde Joggen miteinberechne, bleibt für Arbeit keine Zeit mehr. Ganz zu schweigen von zweieinhalbstündiger Sonneneinwirkung. Was mich auf die Idee gebracht hat, das eine mit dem andern zu kombinieren. So jogge ich nun also jeden zweiten Tag mit dem Gartenschlauch von Baum zu Strauch und jogge dann an Ort bis das Sandbecken um den Baum mit Wasser aufgefüllt ist und ich klatschnassgeschwitzt bin. Das sieht bestimmt so richtig doof aus und fühlt sich auch so an, aber es funktioniert – zeitlich und trainingsmässig. Darum lebt man schliesslich in der Wüste, damit keiner sieht, wie dumm man tut. Nur um dann darüber zu schreiben und es in der Vorstellung der Leser noch viel doofer aussehen zu lassen.

Friday, August 1, 2008

15 Sekunden


Ich sitze nichtsahnend am Schreibtisch, als der Kaffee in meiner Tasse sich selbständig macht. Er schwappt von links nach rechts und zurück. Dann mache ich mich selbständig – ohne mein Zutun. Ich schwinge – als ob ich auf einer Kreuzfahrt wäre. Aber ich bin nicht auf einer Kreuzfahrt (nur über meine Leiche, mir wird auf der Fähre über den Rhein schon schlecht), ich sitze mitten in der Mojave. Absolute Stille draussen. Nichts weit und breit. Kein Baustelle, auf der ein Kran umgefallen ist. Keine Truppenübung auf der 30 Meilen entfernten Marinebasis. Erst nachdem all diese Gedankengänge auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft sind, geht der Kopf dahin, wo er nicht hin will – ein Erdbeben. Verdammt, das ist ein Erdbeben. Erst mal stillsitzen, vielleicht gehts ja weg. Genau hinhören (hilft das was?). Alles schwankt. Das Haus schiebt sich als kompakte Masse auf dem Sand hin und her. Kein Krachen im Gebälk, nicht mal das leiseste Knistern. Ich schwinge mit. Mein Herz scheint stillzustehen und gleichzeitig aus der Brust zu springen. Ich halte mich am Schreibtisch (das hilft sicher nichts). Es ist ein schwerer Schreibtisch. Soll ich mich drunter verkriechen? Nein, halt. Die neuesten Forschungen sagen, man soll sich nicht unter schwere Möbelstücke ducken, sondern genau daneben. Der Tisch könnte zusammenkrachen. Aber neben ihm wird ein kleiner Freiraum entstehen, wenn alles runtergestürzt kommt. Ich sitze weiterhin wie angewurzelt auf meinem Bürostuhl. Wozu speichere ich das Wissen um den sichersten Ort, wenn ich es nicht anwende? Wahrscheinlich weil ich nicht glauben kann, dass dies “The Big One” sein könnte. Zum Glück habe die Risse des letzten Erdbebens noch nicht repariert, denke ich noch. Dann ist Ruhe. Ich warte auf die Aftershocks. Sind sie real oder spielen sie sich nur in meinem Kopf ab? Egal. Seekrank bin ich so oder so. Noch immer halte ich mich am Schreibtisch fest.

Schlangengrube


Sie entschuldigen, dass ich Ihnen hier kein Photo der Klapperschlange präsentiere, die mir vor ein paar Tagen beim Joggen über den Weg gelaufen ist. Oder besser gesagt ich ihr. Die Geistesgegenwart, mein Handy zu zücken und abzudrücken, hat mir gefehlt. Ich gebs ja zu, im Hochsommer zu nah bei den Felsen hinter dem Haus laufen zu gehen, ist eine Idee, von der ich allen meinen Besuchern abrate. Und es dann trotzdem selber gedankenlos tue. Eine fette Schlange wars, so viel habe ich gesehen. Und laut geklappert hat sie auch. Das nehme ich zumindest an, denn das war genau das Problem – ich hatte Justin Timberlake’s “Damn Girl” im Ohr statt die akustische Warnung der Schlange. So schnell bin ich noch nie nach Hause gelaufen. Auch das ein Fehler, schliesslich sollte man sich vor einer Schlange nicht abrupt bewegen. Das Maschendraht-Tor zur Einfahrt hab ich sorgfältig zugemacht, im vollen Bewusstsein, wie lächerlich sowas in Sachen Schlangenbekämpfung ist. In den sieben Jahren hier draussen, habe ich erst zweimal eine Schlange nah beim Haus gesehen, beide harmlos. Bei meinen Nachbarn hingegen ist das anders. Grad vor zwei Wochen hat sich eine Klapperschlange genau vor der Eingangstür gesonnt, sagt Sandy. Glücklicherweise habe ich sie vom Küchenfenster aus gesehen und nach Dan gerufen. Der hat den Schlüssel zum Waffenschrank gezückt, die Pistole rausgeholt und das Ding durchs Fliegengitter hindurch erschossen. Dan zeigt mir stolz das Loch im Gitter. Sag ihr, was dann passiert ist, drängt Sandy. Ich schaue Dan fragend an. Nein, sagt er zu Sandy, sie mag sowas nicht hören. Was denn, frage ich blöderweise nach. Ich hab die Schlange in die Abfalltonne geworfen und den Deckel geschlossen wegen den Kojoten. Später habe ich gesehen, dass das Ding explodiert ist in der Hitze. Explodiert??? Die beiden haben zwar einen Hang zum Übertreiben - mich verfolgt der Gedanke trotzdem. Und Sie nun auch.

Thursday, July 17, 2008

Mehr ist mehr


Zuerst ist Vielplatzhaben ein Wunsch. Dann ein Ereignis. Dann eine Gewohnheit. Und dann einengend. Denn hat man sich erst mal an viel Platz gewöhnt, was ziemlich schnell geht, gibts kein Zurück. Alles was weniger ist als viel, ist zuwenig, zu eng. So geht es mir wenigstens, nun, da ich seit fast acht Jahren unter einem grossen Himmel und mit unendlicher Fernsicht lebe. Es macht Spass, Stadtkinder zu beobachten, deren Welt sich auf einen Schlag vervielfacht, wenn sie zu Besuch kommen. Manche stolpern fast über die Weite, ihr Gang wird unsicher, wenn kein rettender Zaun oder ein Möbelstück in Griffnähe ist. Andere versuchen, den Raum in Besitz zu nehmen, indem sie wie wild rumrennen, bis sie todmüde ins Bett sinken. Sogar die kleinsten Kinder sind vom Himmel hier draussen fasziniert; der Mondaufgang ist ein Ereignis, und Sterne kommen in ihrer Welt in dieser Deutlichkeit sonst nur in Kinderbüchern vor. Man könnte denken, Hans-guck-in-die-Luft sei nicht eine Figur aus Struwwelpeter, sondern hier draussen in der Mojave erfunden worden. Apropos viel Platz – da fällt mir doch gerade ein, dass ich Ihnen schon lange nicht mehr vorgejammert habe, dass ich zwar viel Platz, aber keinen Swimming Pool habe. Es ist heiss, Abkühlung würde mir gut tun. Vor zwei Jahren, ich erinnere mich genau, haben wir, Sie und ich, in dieser Kolumne abgemacht, dass Sie mir einen Pool spendieren, falls Sie im Lotto gewinnen. Nun mal Hand aufs Herz, niemand von Ihnen hat in der Zwischenzeit im Lotto gewonnen? Das kann fast nicht sein. Es würde mich sehr enttäuschen, wenn ich erfahren müsste, dass jemand von Ihnen mich um meinen rechtmässigen Anteil an Ihrem Gewinn betrogen hätte. Ich werde schon aufpassen, dass die kleinen Kinder nicht reinfallen, versprochen. Das mit dem vielen Platz ist wie im richtigen Leben – es gibt immer Mehr. Eben einen schönen, grossen, tiefen, langen Swimming Pool zum Beispiel.

Der Mond ist falsch


Ich suche die farbigen Pyrex Schalen aus dem Fünfzigerjahren, sage ich zum alten Mann auf dem Flohmarkt in Yucca Valley. Sein Stand ist eine der festinstallierten Hütten, er ist jeden Samstag und Sonntag hier. Der Mann dreht sich wortlos um und macht sich an einer sandigen, zerfledderten Kartonschachtel zu schaffen. Hier, ein perfektes Set von Cinderella Bowls, sagt er und streckt mir die Superstücke stolz entgegen. Ich schlage sofort und ohne zu feilschen zu. Er weiss, was er hat, und ich weiss, was ich will. Er besteht darauf, die Schalen einzeln in Zeitungspapier und dann einzeln in Plastiksäcke zu verpacken. Er sucht nach Zeitungspapier unter der Theke. Es ist etwas falsch mit dem Mond, sagt er, als er wieder hochkommt, haben Sie das auch bemerkt? Nein, nicht wirklich, sage ich etwas ratlos. Ich habe keine Ahnung von was er spricht an diesem sonnigen Sonntagmorgen. Die Mondumlaufbahn, die ist total verschoben, insistiert er. Jede Nacht etwas mehr. Da muss ich mich mal drauf achten, sage ich ausweichend. Ja, machen Sie das, ich sage Ihnen, ich kenne mich aus mit dem Mond. Ich war Wetterbeobachter in der Armee, in Japan und überall. Er macht eine weit ausladende Handbewegung, bei der ihm eine der Schalen fast aus der Hand rutscht. Seit 1954 lebe ich in der Wüste und ich liebe es, ausser damals, als ich von einem Arizona Skorpion gebissen und monatelang ausser Gefecht gesetzt wurde. Ich bin 78 und mache immer noch Gartenarbeit, falls Sie mal jemanden brauchen – Milton Gurley. Er schreibt mir seine Nummer auf das Zeitungspapier, mit dem er die letzte Schale einpackt. Das Militär, die wissen das bestimmt mit dem Mond, die sagen nur nichts. Geheimsache. Ich frage, ob ich ihn fotografieren darf, als er mir die Plastiksäcke entgegenstreckt. Er winkt ab. Zu alt und zu hässlich, lacht er. Milton Gurley, denke ich nachts, als der Mond aufgeht, sieht doch alles gut aus. Aber was weiss ich denn schon.

Zwangsspass


Sie hat wieder mal drauf bestanden, meine Freundin JB. Es muss sein, hat sie gesagt, du kommst oder du kriegst Minuspunkte in meinem Freundschaftsbuch. Wer will schon sowas. Warum es ausgerechnet Bowling sein muss, wissen die Götter. Und wie ein Ex-Las Vegas Showgirl zu Bowling kommt, wissen nicht mal diese. Zugegebenermassen, die Bowling Bahn in Pioneertown ist die schönste der Welt. Ein Fünfziger Jahre Relikt, perfekt erhalten, mit Original Wandzeichungen von den Disney-Zeichnern, die sich hier in der Bowlingbahn dieser Westernstadt, die als Filmset gebaut worden ist, die Zeit vertrieben haben. Du könntest mir doch endlich Line Dancing beibringen bei Pappy’s and Harriet. Ich weiss, dass in der Bar nebenan heute eine gute Band spielt. Aber davon will JB nichts wissen. Too close to home, sagt sie nur. Sie spricht nicht gern über ihre Zeit in Vegas. Dabei würden mich doch all ihre Showgirl Geschichten brennend interessieren. Und was genau passiert ist, dass sie kaum mehr darüber sprechen will. Ich führe nun ein normales Leben, sagt sie stolz, ein normales, kleines Leben hier draussen in der Wüste, dafür ist es meins. Und darum gehen wir bowlen, schick dich drein. Sie schubst mich zur Theke, wo die Bowling-Schuhe vermietet werden. Ob die wohl auch original sind, frage ich mich und versuche, mir auf keinen Fall vorzustellen, wieviel Stinkfüsse in meinem rot-blauen Paar in den letzten fünfzig Jahren gestanden haben. JB ist nun in ihrem Element. Sie bringt mir ein Bier, das hier in grossen Konfitüren-Gläsern serviert wird. Wenn ich das schon nur anschaue, kriege ich den Arm kaum mehr hoch. Aber nach ein paar fürchterlichen Runden punkte sogar ich manchmal, obwohl mein Arm sich anfühlt, als würde er ganz einfach abfallen und mit der nächsten Kugel mitrollen. Ich jammere. Oh come on, you sissy, hast du Angst, dass du morgen nicht mehr tippen kannst? This is fun, right? Alright, alright, this is fun.

Thursday, June 19, 2008

Wüstennächte


Juni mag ich speziell gern in der Mojave. Es ist die Zeit, der gloriosen Sonnenuntergänge, nicht dass sie während den andern Monaten viel weniger spektakulär wären. Aber an Juni-Abenden fallen sie mehr auf. Es ist heiss, aber noch nicht verdammt heiss, so dass man sich nach draussen stürzt, wenn die Sonne hinter den Horizont fällt. Und sie fällt wirklich. Schon viele Male haben meine Gäste aus nördlicheren Gefilden das Spektakel verpasst, weil sie sich noch schnell in der Küche einen Drink holen wollten, um den Sonnenuntergang ganz besonders zu geniessen. Da stehen sie dann im warmen Sand, mit ihrem Drink in der Hand, verdutzt, dass alles schon vorbei ist. So weit südlich bricht die Nacht schneller herein als in Mitteleuropa. Bitte lassen Sie mich das nicht astronomisch erläutern, irgendwas mit schräger Achse und so. Juni ist auch die Zeit der langen Nachtessen mit vielen Freunden, wenn der plötzlich aufkommende Wüstenwind nach Sonnenuntergang – bitte lassen Sie mich das nicht wettertechnisch erläutern, irgendwas mit schneller Abkühlung der Luftmassen und so – die Schweissperlen von Hitze und Wein im Keim erstickt. Die Hunde liegen matt unter dem langen Tisch draussen und warten darauf, ob vielleicht einer der Freunde mein Verbot, die Hunde vom Tisch zu füttern, missachtet. Je nach Gästen gibts dann noch eine Partie Billiard, bei der ich absolut unzuverlässig mal gut und mal sauschlecht spiele. Rätselhaft. Wenn ich einen schlechten Abend erwischt habe, lotse ich die Gäste weg vom Billiardtisch auf die Liegestühle vor dem Haus. Da liegen wir dann, suchen nach Sternbildern, obwohl sich da niemand auskennt, starren in die Milchstrasse und gestehen uns, was wir uns wünschen, wenn wir eine Sternschnuppe sehen, obwohl das dem In-Erfüllung-Gehen der Wünsche entgegenwirken soll. In diesen Juni Nächten ist die Welt in Ordnung. Da kann auch die dickste vergebene Sternschnuppe nichts dran ändern.

In Deckung


Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, Fliegen zu lernen. Eine einsame Gegend aus der Luft zu erkunden scheint mir romantisch. Wie Google Earth – aber richtig. Mit Wind im Haar und so. Oder noch besser mit einer dieser alten Leder Fliegermützen und einem weissen Seidenschal. Obwohl – den Wind zu spüren deutet wohl nicht auf besonders grosse Flugsicherheit hin. Entweder die Maschine ist steinalt und offen oder die Tür schliesst nicht richtig und man kann den Boden durch den Spalt sehen. Aber da denk ich nicht dran in meiner Phantasie. Sonst müsste ich ja noch in Betracht ziehen, dass mir so kleine Knattermaschinen Angst machen, nicht zu reden davon, wie speiübel es mir wird, wenn so ein Ding auch nur der geringsten Thermik ausgeliefert ist. Flugstunden sind billiger hier als in Europa, reibt mir Tucker Johns immer wieder unter die Nase. In Schweden kann sich das niemand leisten, sagt er absichtlich falsch, um mich mit der hier gängigen Verwechslung von Schweden und Schweiz zu ärgern. Er ist ein pensionierter Marine, ein Elitesoldat, der in Twentynine Palms hängengeblieben ist, Häuser verkauft und Flugstunden gibt. Da im Makler Business derzeit nichts läuft, versucht er, Leute zur Fliegerei zu nötigen. Tucker Johns ist mindestens siebzig und mit old-school Lässigkeit bewaffnet. Ich hab ihn noch nie ohne seine Westernstiefel gesehen, und seine Fliegerbrille scheint noch original aus den Siebzigern zu stammen. Ach komm, dann kannst du zum Mittagessen nach Cal-Nev-Ari fliegen, sagt er, da gibts ein Restaurant mit eigener Landebahn. Oder du kannst durch den Grand Canyon fliegen, bei Sonnenuntergang. Aber ich stelle mir vor, wie ich als schrullige Alte – Lichtjahre von jetzt – die Gegend so unsicher mache, dass die Leute in ihren Häusern die Köpfe einziehen und sagen, da kommt sie wieder, die verrückte Alte, alle in Deckung. Das finde ich vielleicht die romantischste Vorstellung von allen.

Frohes Sündigen


Wenn Sie diesem Bild nun nicht abkaufen, dass es in einem abgelegenen Teil der Mojave gemacht wurde, weil ich Ihnen noch nie so ein schickes Bild gezeigt habe, dann haben Sie recht gezweifelt. Das Bild ist in Los Angeles gemacht und zwar in einem Pinkberry. Schon wenn ich dieses Wort tippe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen, weil manchmal, ich gestehe, lasse ich die kulinarische Einöde hinter mir und schleiche mich nach LA, um zu sündigen. Zuerst esse ich dann mit meiner Freundin Lilian (nein, ich rede nicht von mir selber in der dritten Person) in einem kleinen vietnamesischen Pho Lokal in Silverlake und danach gönnen wir uns einen Besuch bei Pinkberry. Pinkberry ist ein Phänomen. Ein Glacé Phänomen. Vor wenigen Jahren bin ich zum ersten Mal beim Lesen der Los Angeles Times auf Pinkberry gestossen – Der Geschmack, der 1000 Parkbussen ausgelöst hat, sagte die Headline. Eine junge Koreanerin hatte in einem kleinen Schuppen mit Tresen und ein paar wenigen Tischen, irgendwo in Beverly Hills (klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner) eine so süchtigmachende Glacémischung kreiert, dass sich alle um Parkbussen foutierten. Pinkberry ist aus Yoghurt gemacht und hat viel weniger Kalorien als Eiscrème. Und der Geschmack ist irgendwie, wie soll ich sagen, schwer zu beschreiben, einfach verdammt gut. Es gibt nur drei Geschmacksrichtungen – Original, Grüntee oder Kaffee – und wer will, kann sich seinen Becher noch mit frischen Beeren anreichern lassen. Ganz LA ist mittlerweile süchtig nach Pinkberry. Und weil die Koreanerin einen Bruder mit Business School Abschluss hat, sind auch die ersten New Yorker der Sucht verfallen. Mit Hilfe von Starbucks wird derzeit expandiert - wie Pilze spriessen die Dinger aus dem Boden. Vielleicht gibts ja sogar bald hier oben einen Pinkberry. 130 Meilen ist bei den heutigen Benzinpreisen zwecks Genuss doch etwas weit. But hey, I’m doing it. Und ja, das ist es Wert.

Ekel und Abscheu


Tote Tiere – nicht mein Spezialgebiet muss ich zugeben. Auch nach sieben Jahren in der Wüste kann ich noch keinen toten Vogel und keine tote Maus wegschaffen, nicht mal mit einer Schaufel, ohne hinzusehen. Das ekelt mich ganz abscheulich an. So, dass ich im Haus eingesperrt bin, wenn mir meine Hunde ein “Geschenk” auf die Matte gelegt haben. Ich hasse Geschenke. Ich rufe den Nachbarsjungen an, besteche ihn mit Geld und lasse ihn die Drecksarbeit machen. Einmal habe ich Little Dan für das Wegräumen eines Hasen mit durchgebissener Kehle fünf Dollar bezahlt. Seither liebt er meine Geschenke. Fünf Dollar pro Minute, das kriegt Little Dan sonst nirgendwo. Letzthin musste ich ihn wieder anrufen. Es war bereits dunkel und ich konnte das Haus nicht verlassen. Auf der Matte lag schon wieder so ein kaputter Hase. Ich hatte die Tür rasant geöffnet, schon etwas spät dran, um Freunde zum Nachtessen zu treffen, und mein Schwung wurde abrupt gestoppt. Ich konnte nicht genau hinsehen. Ein lebloses Bündel mit Pfoten, aufgebissen, das war alles, was ich sah. Mein Appetit war verflogen. Eigentlich hätte ich das Nachtessen gleich absagen können. Mit dem grössten Plastiksack, den ich finden konnte, wartete ich an der Seitentür bis Little Dan mit seinem lächerlich kleinen Motorrad angetuckert kam. Deine Hunde fangen viele Hasen in letzter Zeit, sagte Little Dan freudestrahlend und nahm mir den Plastiksack aus der Hand. Ich versteckte mich im Haus. Bis ich Little Dan lachen hörte. Er konnte sich draussen kaum mehr einkriegen vor Lachen. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit. Er hielt mir den Hasen vors Gesicht. Ich schreckte zurück. Es ist ein Plüschhase, stiess er zwischen zwei Lachsalven hervor. Ein Plüschhase – ich werde auch nur noch blöder. Die Hunde müssen das Ding irgendwo in der offenen Wüste gefunden und heim geschleppt haben. Die fünf Dollar habe ich Little Dan trotzdem gezahlt. Schweigegeld.

Tuesday, May 27, 2008

Totengräber


Und damit meine ich ausgraben, nicht eingraben. Schliesslich ist das hier Death Valley – es gibt keinen geeigneteren Ort, um nach Leichen zu graben. Es geht nicht um irgendwelche Leichen. Es geht um von Charles Manson und seiner Family verbuddelte Leichen. Der Manson Clan hat sich 1969 nach der Ermordung von Sharon Tate in Hollywood auf der unzugänglichen Barker Ranch verschanzt. Und seither gibt es Gerüchte, dass hier mehr Opfer verscharrt seien. Genährt worden sind sie in letzter Zeit von einem Hund namens Buster. Buster gehört Detective Paul Dostie, und Buster mag gewisse Stellen auf der Barker Ranch ganz besonders. I smell dead people, hat er gewedelt und Paul Dostie hat eine Schar von Experten gerufen, um das Gerücht ein für alle mal zu beerdigen oder eben nicht. Mein Ruf steht auf dem Spiel, wenn wir nichts finden, hat Dostie im Vorfeld gesagt. Und dann haben sie gegraben. Tagelang. Bei 37 Grad im Schatten, den es nicht gibt im Death Valley. Archäologen, Anthropologen und forensische Experten aus Utah haben sich mit Radar, Magnetometer, Laser und einem speziellen blauen Licht, das Knochen in grosser Distanz zum Leuchten bringt, ins Zeug gelegt. Die erste Patronenhülse, die gefunden wurde, erhöhte die Erwartungen. Das Ganze war ein gefundenes Fressen für die Medien, welche im Vorfeld und während dem Grossen Graben dauernd live dabei waren. Aber nach der ersten Patronenhülse war es lange still. Dann ein paar Knochen – die eines kleinen Tieres. Die vielen High-tech Spielsachen erwiesen sich als nutzlos. Sie haben zur allgemeinen Enttäuschung auch Ameisenberge, Rattennester, Wurzeln und magnetische Steine angezeigt. Auf Busters Nase wird sich so schnell niemand mehr verlassen. Und Rock Novak, der Besitzer eines kleinen Ladens in der Geisterstadt Ballarat, wird wohl auf seiner extra georderten Grosslieferung von Charles Manson T-Shirts sitzen bleiben. Viel Sand um Nichts.

Goldsucher


Der Mann, der in Twentynine Palms hinter diesem dicken Eisenzaun wohnt, hat eigentlich einen der besten Jobs in Kalifornien. Der Job ist das pure Gegenteil von Sich-hinter-einem-dicken Eisenzaun-verschanzen. Huell Howser ist von Beruf neugierig, und er ist eine Institution. Er reist in Kalifornien umher, trifft Leute, schaut sich Kuriositäten an, spürt Geschichten auf, die noch kaum einer vorher aufgespürt hat und erzählt die am öffentlich-rechtlichen Fernsehen (tja, sowas gibts hier auch). Mit Sensationsmache hat das nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Die Sendung ist mit einfachsten Mitteln produziert und so schnörkellos, dass sie schon fast wieder hip ist. “California Gold” heisst sie und ist mit ihrer mittlweile siebzehnjährigen Laufzeit das längste und flächendeckendste, was je über Kalifornien produziert wurde. Huell Howser klettert sowohl zum weltbekannten Hollywood-Schild hoch in den Hügeln über, well, Hollywood, er besucht einen Friedhof, auf dem viele berühmte Filmtiere begraben sind, er portraitiert ein baskisches Restaurant in Bakersfield, mitten in der Mojave und er unterhält sich mit einem alten Mann, der sein Leben der Restauration von Photoplayern verschrieben hat – automatisierte Orgeln, die Stummfilme weniger stumm machten. Jedem Thema widmet er eine halbe Stunde. Huell Howser hat seinen eigenen Charme. Manchmal ist seine begeisterte Art nicht auszuhalten – alles interessiert ihn gleich und gleich intensiv. Und trotzdem schaue ich ihm immer wieder zu und weiss nicht, ob ich ihn schmalzig oder ein interessantes Unikum finde. Was er sicherlich ist - echt. Darum verzeihe ich ihm auch immer wieder, dass er scheinbar unvorbereitet drauflos plappert. Wenn ich das mit meinen Kolumnen machen könnte. Na ja, vielleicht finden Sie ja, dass ich das genauso tue wie Huell Howser. Hilfe, bin ich etwa schmalzig? Jedenfalls habe ich keinen Eisenzaun, er mir die Aussicht verdeckt.

Thursday, May 15, 2008

Dollarschwäche


Nun kommen sie wieder in Scharen, die Ausländer. Vergessen sind die Schwüre, dass man während der Regentschaft von George W. Bush keinesfalls amerikanischen Boden betreten werde. Vergessen die Verachtung vor dem amerikanischen Marken-Imperialismus. Wenn die Marken billig genug zu erstehen sind – wer kümmert sich dann schon um Weltanschauliches. Rein gar niemand, muss ich annehmen, wenn ich bei den Outlet-Stores vorbeifahre, die kurz vor Palm Springs mitten in die Wüste gebaut sind. Outlet-Stores sind Markentempel, die etwa hundert Meilen ausserhalb der grossen Metropolen an den wichtigen Ausfallstrassen aus dem Bodem spriessen und die Reisenden von ihrem Weg abbringen, ohne die viel teureren Läden in den Städten zu konkurrenzieren. Calvin Klein, Ralph Lauren, Levi’s, Kenneth Cole, DKNY, aber auch Prada, Armani und Gucci sind vertreten, um nur ein paar wenige zu nennen. Das Mecca der Shopping-Touristen aus aller Welt hat trotz Rezession Hochkonjunktur. Ganze Busladungen voll Markenhungrigen werden von Los Angeles hier rausgefahren, alle mit dem grossen Portemonnaie bewaffnet. Speziell die Europäer finden nun alles billig. Spottbillig. Ich habe zwei Arten von europäischem Besuch. Diejenigen, die viel kaufen und diejenigen, die sehr viel kaufen. Letztere sind oft diejenigen, die sich erst zieren und dann spezielle Schubkraft entwickeln, wenn ich ihnen sage, wer unserer gemeinsamen Freunde hier wieviel eingekauft hat und dass ich beispielsweise für neue Adidas-Turnschuhe nie mehr als 30 Dollar ausgebe. Wenn die Schamgrenze mal überwunden ist, zieht es auch den shopping-resistentesten Männern den Prada-Ärmel rein. Dass man letztendlich mehr ausgibt, wenn’s billig ist, scheint niemanden zu stören. Auch mich nicht - ich begleite meine europäischen Freunde gern auf ihre Einkaufstouren. Vor lautem schlechtem Gewissen ob ihrem Kaufrausch, springt oft auch noch ein Geschenk für mich ab.

Friday, May 9, 2008

Wo wohnen Sie?


Da wollte ich Ihnen doch den Bären aufbinden, dass ich im Saloon mit dem reizenden Namen “Bucket of Blood”, Kübel voll Blut also, das Tanzbein geschwungen habe. Aber den Saloon gibts nicht mehr in Holbrook, Arizona und demzufolge taugt er auch nicht als Kolumnenfoto. Nur das Strassenschild zeugt noch von der wirklich wilden Wildwest-Vergangenheit der Gegend. Seit ich es gesehen habe, wünsche ich mir, ich könnte, die Frage nach meiner Adresse mit “6905 Kübel voll Blut” beantworten. Wenn das kein Konversations-Kickstart ist. Aber eben. Der aufgebundene Bär hätte sich auch nur den Namen des Saloons bezogen, ich schwörs, nicht auf die Tatsache, dass ich wirklich und leibhaftig in einem Saloon den Arizona Two-Step gelernt habe, nicht zu verwechseln mit dem Texas Two-Step, obwohl mir niemand sagen konnte, wie sich die zwei Western-Tänze unterscheiden. Eines Sonntagmorgens hatte mich mein Freund Mitch angerufen und mir aufgeregt erzählt, dass er am Vorabend in einem Saloon die Arizona Two-Step Championship und 100 Dollar gewonnen habe. Ich wusste zwar, dass er gern tanzt, aber nicht, dass er gut tanzt und an Wettbewerben teilnimmt. Das musste ich sehen und liess mich ausführen. Zuerst tanzte er mit einigen Damen vor wie’s geht. Ich war begeistert. Da waren überhaupt viele, die so richtig gut waren. Was mir besonders gefiel: sie waren alt, jung, dünn, dick, schön und weniger schön und es spielte keine Rolle. Alte Rednecks und junge Skater schoben und drehten ihre Girls zu den Countryhits des Tages - was der Tanzboden hergab. Es zählte nur, wer den richtigen Hüftschwung und Spass hatte. Dann war ich an der Reihe. Ich bin der Mann, ich führe, musste Mitch ein paar Mal dezidiert sagen, als ich, schwindlig von den vielen Drehungen, in meinem eigenen Rhythmus in die falsche Richtung davontanzte. Dirty Dancing, erste Lektion. Nur ein ganz klein bisschen weniger grazil und ein paar Jahre älter. Who cares.

Dann halt nicht


Ich habe Platz. Viel Platz und viel Sonne. Also liegt der Gedanke nah, beides zu nutzen und ausser Kakteen noch etwas anderes, Essbares anzupflanzen. Dachte ich zumindest. Das muss gehen, auch wenn der Boden sandig ist. Schliesslich serviert das Twentynine Palms Inn hervorragendes Gemüse aus eigenem Anbau. Der Garten liegt hinter dem Hotel, gleich neben der Oase. Papiertüten dienen als Vogelscheuchen. Der Garten ist nach Chemehuevi Prinzipien angelegt, dem Indianerstamm, der hier ursprünglich ansässig war. Und die müssen was von Gartenbau in der Wüste verstanden haben. Nicht wie ich, denn bei mir geht gar nichts. Oder wenigstens nicht lange. Erst habe ichs mit Küchenkräutern versucht. Schnittlauch, Basilikum, Rosmarin. Rosmarin ist das einzige, was übrig geblieben ist. Den fressen die Hasen nicht – leider, muss ich schon fast sagen, denn der wuchert nun wie Unkraut. Aber roh würde ich Rosmarin auch nicht knabbern wollen – zu strauchig im Geschmack. Auch mein Neuanbau in Töpfen auf der Mauer rund um die Veranda hat nicht lange funktioniert. Da kamen zwar die Hasen nicht ran, dafür aber die Mäuse, was ich als persönliche Beleidigung genommen habe. Danach habe ich eine grosse Kiste gebaut, rund um Salat, Kürbis und Zucchini, und mit Netzen abgedeckt. Netze, die für alle Nager weit und breit eine perfekte Hangel dargestellt haben. Dann bin ich für ein paar Tage weggefahren und habe vergessen, dem Nachbarsjungen zu sagen, er soll wässern. Was noch nicht abgefressen war, war danach verdörrt. Man soll dem Land nichts aufzwingen, was da nicht sein will, habe ich mich über meinen fehlenden grünen Daumen hinweggetröstet. Dabei hatte ich mir das so schön vorgestellt, wie ich in der Abendbrise eine riesige Schüssel Salat ernte und mit Freunden auf der Veranda sitze, während das Steak auf dem Grill brutzelt. Nun fahre ich halt in der Abendbrise zum Supermarkt und kaufe den verdammten Salat.

Friday, April 25, 2008

Jack, der Flieger


Ich weiss, ich hätte insistieren sollen, dass Jack sich auf den andern Stuhl setzt, den links, wo ihm die Sonne das Gesicht besser in Szene gesetzt hätte. Ich sitze, wo ich will, honey, sagt er. Damit ist die Diskussion beendet. Er kommt auch zu Besuch, wann er will, sagt meine Freundin J.B. lachend. Sie ist seine Nachbarin. Jack ist über achzig und nicht mehr gut zu Fuss. Also hottert er in seinem verbeulten Pickup Truck über die Sandstrasse zum nächsten Haus. In seinen jungen Jahren in Brooklyn hat Jack sich seine alten Tage anders vorgestellt. Die Fliegerei hat ihn fasziniert. Lange Jahre hat er für SAS gearbeitet. Einmal hat er sich auf einem Flug von Kopenhagen nach New York mit Truman Capote in der Bar der ersten Klasse so dermassen die Hucke vollgesoffen, dass die beiden beim Zwischenhalt in Bremen von der Polizei zurück ins Flugzeug bugsiert werden mussten. Mit Geschäftspartnern hat er gar eine eigene Fluggesellschaft gründen wollen. Lange hat alles vielversprechend ausgesehen, dann ist der Deal im letzten Moment nicht zustande gekommen. Jack hat alles verloren. Heute lebt er von seiner kleinen staatlichen Rente in einem Airstream Wohnwagen. Er besitzt kein Land. Der Wohnwagen steht neben einem Haus, das Leuten gehört, die nur übers Wochenende kommen. Er passt dafür aufs Haus auf. Um sich seine Zeit zu vertreiben, schaut er Quizsendungen und schreibt an einer Geschichte, die darüber mutmasst, wie die amerikanische Geschichte sich entwickelt hätte, wenn der Süden den Sezessionskrieg gewonnen hätte. Wenn man Jack besucht, empfängt er einem vor dem Wohnwagen. Zu schmutzig drin, sagt er. Nur J.B. lässt sich alle paar Monate nicht abweisen. Dann schrubbt sie ihm den Wohnwagen wieder in Schwung und schimpft mit Jack, dass er sich nicht an ihre Sauberkeitsanordnungen gehalten hat. Er lässt es über sich ergehen und schwört Besserung. Dass die nicht eintritt, wissen sie beide.

Wednesday, April 16, 2008

Touristen!


Frühling, die Zeit, in der es schon recht warm ist hier oben, aber noch nicht so heiss, dass es kaum auszuhalten ist. Das ist auch die Zeit, in der die Fremdlinge wieder über uns herfallen. Seien sie nur übers Wochenende hier oder für länger – viele von ihnen benehmen sich daneben. Nicht in Sachen Knigge, sowas gibts hier draussen nicht. Schliesslich ist die Wüste erfunden worden, damit man Konventionen sausen lassen und sich sein Leben nach den eigenen Gesetzen einrichten kann. Nein, sie benehmen sich daneben, weil sie sich keiner Gefahr bewusst sind. Noch besser, sie glauben es auch nicht, wenn man sie darauf hinweist. Bitte immer Wasser dabei haben, bitte eincremen, bitte Hut auf, bitte nicht barfuss gehen, sind die einfacheren Lektionen und einsehbar, weil fühlbar. Nach einer Viertelstunde ist man rot, nach einer halben ausgetrocknet und nach zwei Schritten hat man Kaktusstacheln in den Füssen. Verständlicherweise wollen die Touristen in die freie Natur, wenn sie schon mal hier sind und es endlich warm ist. Sie klettern überall hoch und überall rein. Und das ist nicht immer eine gute Idee. Denn wenn man so eine Schlange erst mal fühlt, ist es zu spät. Ich sags Ihnen… Ach, übrigens, gestern Nacht um 8 Uhr 24 habe ich die Spacestation gesehen, um nun mal kurz das Thema zu wechseln. Laufen Sie raus, hat das lokale Radio gesagt, die Spacestation ist von der Sonne hell erleuchtet und in vier Minuten wird sie den ganzen, weiten Sternenhimmel überquert haben. Und genauso wars. Sitzt da eigentlich einer drin, hab ich mich gefragt? So genau sieht man das schliesslich nicht von blossem Auge, ist ja mehr wie ein sausender Stern. Einer von uns oder ein Russe oder gehört der Weltraum nun allen? Und wenn Sie denken, ich käme jetzt auf Weltraumtourismus zu sprechen, nur um diese Kolumne auf unelegante Art wieder zum ursprünglichen Thema zurückzuführen, tja, dann haben Sie absolut recht.

Tuesday, April 8, 2008

Sintflut?


Also wirklich. Sind die doof oder ich? Hier, mitten in der Wüste gibt es eine verblüffende Anzahl Boote und Schiffe. Aufgebockt oder auf Anhänger montiert, verlotterte und niegelnagelneue, auf der Strasse, in Garageneinfahrten und hinter Häusern umgeben von einer Menge Unrat. Haben deren Besitzer das Merkblatt nicht erhalten, dass das hier die Mojave ist, eine der trockensten Gegenden der Welt? Bis zum Colorado River sind es 240 Kilometer, bis Big Bear Lake 123. Oder wissen die vielleicht mehr als ich? Mein Freund Manuel sagt, die Bibel sei schuld. Die hätten sich alle die Geschichte von der Arche Noah zu Herzen genommen und sähen sich als die von Gott Auserwählten an, die alle Wüstentiere retten, wenns soweit ist. Hoffentlich vergessen sie die Schlangen und die Skorpione, die würde ich jedenfalls nicht vermissen. Aber das kann mir ja dann auch egal sein, denn ich gehöre ja nicht zu den Auserwählten, ich habe kein Boot. Nun mal im Ernst, Bootskultur in der Wüste geht über meine Cowboyhutschnur. Mein Schwager verkauft Boote und Wassertöffs in Las Vegas (ich weiss, ich weiss, auf cool heissen die PWC) und macht ein gutes Geschäft damit. Da gibts wenigstens noch den Lake Mead in der Nähe, aber der soll ja bis 2021 auch ausgetrocknet sein, wenns klimatechnisch so weiter geht. Da kann ich nur zum Diversifizieren anraten. Vielleicht ist es ja das Leben in dieser extremen Trockenheit, das die Sehnsucht nach Wasser bis ins Irrationale schürt. Meine Nachbarn hatten für ein paar Jahre in Boot auf dem Big Bear Lake. Da sind sie dann jeweils gegen Abend fast zwei Stunden hingefahren, haben sich aufs Boot gesetzt, haben gepicknickt, und sind wieder fast zwei Stunden nach Hause gefahren. Wahrscheinlich lebe ich einfach noch nicht lange genug im Sand, um das nachvollziehen zu können. Zudem werde ich schon beim leistesten Schaukeln seekrank. Mir wird auf der Fähre über den Rhein schon schlecht.

Tuesday, April 1, 2008

Was ist hier falsch?


Einiges, würde ich sagen, wenn man bedenkt, dass Sie ein Bild sehen, das mitten in der Wüste aufgenommen ist. Ausser nach einem regenreichen Winter ist die Wüste nicht grün. Und schon gar nicht grasgrün. Das hier ist Palm Springs. Meine regelmässigen Leser wissen – ich distanziere mich von Palm Springs bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Palm Springs ist Wüste für Sissies, oder Warmduscher, sinngemäss übersetzt. Obwohl – Warmduscher zu sein in Palm Springs macht keinen Sinn. Da unten, etwa eine Stunde Fahrt von meiner “richtigen” Wüste entfernt, ist es immer etwa fünf Grad heisser. Im Hochsommer ist das unanständig viel. Eigentlich habe ich ja nichts gegen Golf, ausser dass ich es langweilig und nicht so richtig sportlich finde. Ich weiss, ich weiss, ein Teil von Ihnen hasst mich nun. Denn Golf ist für viele Leute eine Religion. Falls Sie ihr angehören – Palm Springs ist Ihr Mecca. 110 Golfplätze hat es in der Gegend rund um Palm Springs. “Eine grossartige Wüste – und gar nicht trocken”, sagt der Golfjournalist eines Hochglanzmagazins. Natürlich nicht – Mensch! Auch wenn mehr und mehr mit recyceltem Wasser bewässert wird, ändert das Wasser das Microklima. Es ist spürbar schwüler da unten und es hat beispielsweise Mücken, was es sonst in der Wüste nicht hat. Um dieses Photo zu machen, musste ich mich zum ersten Mal in meinem Leben auf so ein Grün begeben. Ich gebe ja zu, es ist sensationell weich und angenehm, darauf zu gehen. An einigen kalifornischen Unis kann man mittlerweile “Rasenmeisterei” sogar so richtig botanisch-wissenschaftlich studieren.
Ich plädiere jedenfalls dafür, Palm Springs in Palm Swings umzutaufen. Eine Idee, die ich für teures Geld verkaufen sollten, nun, da ich mir das genau überlege. Und wenn ich dann reich bin, könnte ich mir ein Haus in Palm Springs, sorry, Swings kaufen und den ganzen Tag lang Golf spielen. Ach, was der Gedanke an Geld so alles mit einem macht.

Thursday, March 27, 2008

Rollenspiele


Letzten Sommer ist meine Freundin Melanie angestellt worden, für ein paar Tage verrückt zu spielen. Oder verwundet. Oder sich mit ihrem supponierten Vater zu verstecken. Der Auftraggeber war ein Freund von ihr, ein Theaterdirektor, der wiederum von einer Zulieferfirma des Militärs angestellt worden war. Der Schauplatz lag irgendwo in der Mojave in den Ruinen rund um eine verlassene Silbermine. Wo genau darf sie mir nicht sagen. Für fünf Tage hat sie sich verpflichtet. Nach zwei Tagen mochte sie nicht mehr verrückt spielen, um Soldaten für den Ernstfall vorzubereiten. Nach zwei Tagen mochte sie auch nicht mehr als Verwundete geschminkt im Sand liegen. Es ist verdammt heiss in der Mojave im August. Etwa zweihundert Leute versuchten sich als irakische oder afghanische Zivilisten, die wenigsten von ihnen Schauspieler. Es gibt keine zweihundert Schauspieler hier draussen. Und um die vielen arbeitslosen Schauspieler von Los Angeles herzuschaffen, dazu reichte wohl das Budget nicht. Also nahm man, wen man kriegte, Junkies, Outlaws, amerikanische Kurden, die durch ein Inserat in ihrer Zeitung auf den Job aufmerksam wurden, und eben Melanie. Ihre Anweisungen waren minimal: Du bist verrückt, verhalte dich irrational, fall nicht aus der Rolle, sprich nicht Englisch sondern ein Kauderwelsch. Du kannst tun, was du willst. Sie bekam Schwämme, die als Steine gecastet worden waren. Mit denen sollte sie die Soldaten attackieren. Sie schmiss ein paar Schwämme. Sie ging mit andern zusammen auf die Militärfahrzeuge zu und begann, sie auseinander zu nehmen, Teile abzubrechen. Als die Soldaten ausstiegen, machte sie dasselbe mit ihren Tarnanzügen. Melanie ist heute noch erstaunt, wie wenig die jungen Soldaten, die meisten wahrscheinlich ganz neu im Training, mit der Situation umgehen konnten. Treten Sie zurück, treten Sie zurück, treten Sie zurück, ist alles, was ihnen eingefallen ist. Im Training.