Tuesday, June 30, 2009

Frieren bei 40 Grad


Da verlässt das Landei mal wieder die Wüste und geht in die grosse Stadt – und dann sowas. Gliederschmerzen, Schnupfen, Halsschmerzen, Husten, Frösteln, Fieber. Alles zunehmend, auch nun, da ich wieder zuhause bin. Grippe halt. Mhm, Schweinegrippe gibts ja auch noch. Die findet wahrscheinlich nicht nur am Fernsehen statt. So eine Pandemie wird schliesslich nicht umsonst deklariert. Was nun? Erst mal Google. Check, check, check. Alle Symptome wie sie die staatliche Gesundheitsbehörde angibt. Nun sind das ja aber auch die Symptome jeder andern Grippe. Das hilft nicht weiter. Es ist Sonntag Nachmittag, ich rufe das hiesige Miniaturspital an. Sie können schon kommen, wenn Sie wollen, heisst es, Sie müssen einfach mit Mundschutz im Warteraum sitzen. Und ich dachte, ich komme schneller dran, wenn ich eine potentielle Seuchengefahr darstelle. Also dann morgen zum Hausarzt. Falls ich wirklich Schweinegrippe habe, muss ich wenigstens nicht als Geschworene bei einem Prozess agieren – eine Bürgerpflicht, die alle umgehen wollen. Fieber und Frösteln zusammen bei 40 Grad – ich kanns nicht empfehlen. Decke hoch, Decke runter. Ich habe auf der staatlichen Schweineseuche-Website gelesen: Bitte keine Schweinegrippe-Parties veranstalten. Wie bitte? Da gibts tatsächlich Leute, die wollen sich unbedingt anstecken lassen, weil man davon ausgeht, dass der Virus, wenn er im Herbst wieder zurückkommt, stärker ist und man nun mit der milderen Version immun werden kann. Eine Party mache ich keine – die Wüste ist meine Quarantäne. Und wenn’s ganz schlimm kommt, wird mir bestimmt jemand von Basel ein Tamiflu Care Package schicken, oder? Das ist in Zeiten wie diesen übrigens hoch im Kurs, wenn man sagt, Basel ist die Heimat von Tamiflu. Ich würde mal sagen, Tamiflu ist auf Platz 2 gerutscht auf der international anerkannten Basel-Liste: Federer, Tamiflu, Art Basel. Und LSD natürlich, je nach Publikum.

Tote Rose


So heisst das Haus, das Robert Stone ausserhalb von Joshua Tree gebaut hat – Rosa Muerta. Der Name leuchtet ein. Das Haus ist schwarz, und damit meine ich nicht die Inneinrichtung. Das Haus ist schwarz durch und durch, Wände, Böden, Küche, Herd, Bad, Wasserhähne, Bett, Lampen, einfach alles. Die Leute, die sich im Haus bewegen, bringen die Farbe, sagt Robert Stone, der 40-jährige Architekt und zeigt auf mein farbiges Hemd und meine grüne Tasche, um seinen Punkt zu beweisen. Ich habe in der Los Angeles Times über das Haus gelesen. Es steht nur ein paar Meilen von mir entfernt, aber hier draussen sind die Chancen relativ gering, mal einfach so über eine interessante Neuentdeckungen zu stolpern. Jeder sucht sich einen privat gelegenen Flecken für seine Wüstenträume. Von den Bildern her hat mir der niedrige Pavilion nicht besonders imponiert. Als ich es gesehen und mit Robert Stone gesprochen habe, war ich trotzdem beeindruckt. Nicht vom Schwarz. Und nicht von den handgeschmiedeten Rosen in der Aussenmauer. Aber von seiner singulären, monochromen Vision, die er umgesetzt hat. Stone hat Modernismus mit Punk vermählt, was hier sogar funktioniert. Punk sind Robert Stones Wurzeln, “Punk and Freedom” sehe ich denn auch auf seinem Arm tätowiert, als er mich rumführt. Innen und Aussen fliessen auf mehreren Ebenen ineinander. Das Wohnzimmer (im Bild), falls man das so nennen kann, ist draussen, mit einer Feuerstelle und einem kleinen Pool, Betonbänken und einer verspiegelten Decke. Ausser der Küche und dem Bad gibts nur das Schlafzimmer im Innenraum und auch das ist nicht ganz überdacht. Zwei Wänden entlang gibt es grosse Öffnungen, durch die man den Himmel sehen kann. Und Beete mit Kakteen fangen den seltenen Regen auf. Robert Stone hat sein Haus in drei Jahren ganz alleine gebaut. Er vermietet es übers Wochenende und baut sich mit dem Erlös das nächste Haus nebenan. Diesmal ganz in Gold.

Schwarz-Weiss


So. Das neue Super-Walmart-Megalomania-Shopping-Center hier oben in der High Desert kommt also nicht. Jedenfalls nicht so schnell und sicher nicht allen umweltschützerischen Einwänden zum Trotz. Gut so. Vor ein paar Wochen hat der zuständige Richter in San Bernardino County der grössten Ladenkette der Welt ein Bein gestellt. Die Auswirkungen des gigantischen Projektes auf die Umwelt seien nicht zufriedenstellend abgeklärt und gegen Global Warming sei nicht genügend unternommen worden, sagte der Richter. Vor allem, dass hier, wo fast 365 Tage im Jahr die Sonne scheint, das Einkaufszentrum nicht mit Solarenergie betrieben werden sollte, wollte dem Richter nicht einleuchten. Hier, wo die oben abgebildeten Solarpanele und sechs Golfwagen-Batterien ein ganzes Haus mitsamt Tiefkühler mit Strom versorgen, würde ein 17’000m2 grosses Einkaufszentrum sicher ein paar Panele auf dem Dach unterbringen können, um sich zu einem grossen Teil selbst mit Strom zu versorgen. Kalifornien macht ernst und übernimmt die Vorreiterrolle. Letzten Dezember wurde entschieden, dass bis zum Jahre 2020 15% der gesamten Emissionen des Staates verringert werden müssen. Da braucht es grosse Anstrengungen, alle Aspekte in Sachen Raumplanung in die Umweltbilanz miteinzubeziehen. Da gehören auch die vom Aussterben bedrohten Wüstenschildkröten dazu, die auf dem von Walmart gekauften Gelände leben und nicht genügend in den Umwelt-Report miteinbezogen worden sind. Wenn es allerdings um viele der Bewohner von Yucca Valley geht – sie wollen den neuen Walmart – Schildkröten hin oder weg. In der jetzigen Rezession brauchen sie die billigen Preise für Lebensmittel und Haushaltgegenstände und sie brauchen die neue Arbeitsstellen. Walmart plant in den nächsten Monaten verteilt über die ganzen USA 22’000 neue Arbeitskräfte einzustellen. Wie immer bringt einem eine einfache schwarz-weiss Sicht auf die Dinge nicht viel weiter.

Wednesday, June 3, 2009

Wüstenzeit


Buchstabier mir deinen Vornamen, Lil, sagte meine Nachbarin Sally aufgeregt als sie mich vom Wochenend-Markt anrief, ich weiss nur, dass du ihn anders schreibst als wir. Wir bringen dir ein Geschenk. Ein paar Stunden später standen sie und ihr Mann David vor meiner Tür und überreichten mir stolz die geschnitzte Holztafel: hier, du liebst doch Kakteen und die Wüste, sagten sie und schüttelten den Kopf. Es ist ein ewiges Geplänkel zwischen uns – meine Liebe zum Wüstenleben. Sie leben hier, weil es billig ist, nicht weil sie von der landschaftlichen Schönheit eingenommen sind. Ich habe die Wüste gewählt. Sie finden die Landschaft zu karg, vermissen Wasser und Grün. Ich erfahre die Kargheit als Qualität, die Landschaft als zu bespielende Bühne. In dieser Weite, wo so wenig definiert ist, werde ich immer wieder gezwungen, meinen eigenen Lebensraum zu definieren. Wieviel Platz, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, brauche ich, um mich nicht eingeengt zu fühlen? Wieviel Freiraum ertrage ich, bevor ich mich verloren fühle? Es ist nicht nur der Ort, der herausfordert. Es ist in gleichem Masse die Zeit, die anders erfahren wird hier draussen – sie ist so offen, wie sie sein kann, nur durch Tag und Nacht bestimmt und nicht durch die Aufsplitterung in kleinste Zeiteinheiten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. So scheinen die Uhren denn mal schneller, mal langsamer zu ticken als an andern Orten – eine rein subjektive Erfahrung ist die Wüstenzeit bestimmt. Nirgendwo sonst kann man mit seinen Zeitschätzungen so daneben hauen wie hier. (Und eine Verabredung um drei Uhr Wüstenzeit meint plus/minus zwei Stunden). Die Wüste verlangt nach einem selbstbestimmten Leben. In diesem Sinne könnte die Inschrift “Liliane’s Place” nicht passender sein. Hier ist der Ort, an dem man gezwungenermassen in seinem Leben ankommt, und der Ort, von dem aus man in alle Richtungen weitergehen könnte, wenn man denn wollte.