Thursday, June 19, 2008

Wüstennächte


Juni mag ich speziell gern in der Mojave. Es ist die Zeit, der gloriosen Sonnenuntergänge, nicht dass sie während den andern Monaten viel weniger spektakulär wären. Aber an Juni-Abenden fallen sie mehr auf. Es ist heiss, aber noch nicht verdammt heiss, so dass man sich nach draussen stürzt, wenn die Sonne hinter den Horizont fällt. Und sie fällt wirklich. Schon viele Male haben meine Gäste aus nördlicheren Gefilden das Spektakel verpasst, weil sie sich noch schnell in der Küche einen Drink holen wollten, um den Sonnenuntergang ganz besonders zu geniessen. Da stehen sie dann im warmen Sand, mit ihrem Drink in der Hand, verdutzt, dass alles schon vorbei ist. So weit südlich bricht die Nacht schneller herein als in Mitteleuropa. Bitte lassen Sie mich das nicht astronomisch erläutern, irgendwas mit schräger Achse und so. Juni ist auch die Zeit der langen Nachtessen mit vielen Freunden, wenn der plötzlich aufkommende Wüstenwind nach Sonnenuntergang – bitte lassen Sie mich das nicht wettertechnisch erläutern, irgendwas mit schneller Abkühlung der Luftmassen und so – die Schweissperlen von Hitze und Wein im Keim erstickt. Die Hunde liegen matt unter dem langen Tisch draussen und warten darauf, ob vielleicht einer der Freunde mein Verbot, die Hunde vom Tisch zu füttern, missachtet. Je nach Gästen gibts dann noch eine Partie Billiard, bei der ich absolut unzuverlässig mal gut und mal sauschlecht spiele. Rätselhaft. Wenn ich einen schlechten Abend erwischt habe, lotse ich die Gäste weg vom Billiardtisch auf die Liegestühle vor dem Haus. Da liegen wir dann, suchen nach Sternbildern, obwohl sich da niemand auskennt, starren in die Milchstrasse und gestehen uns, was wir uns wünschen, wenn wir eine Sternschnuppe sehen, obwohl das dem In-Erfüllung-Gehen der Wünsche entgegenwirken soll. In diesen Juni Nächten ist die Welt in Ordnung. Da kann auch die dickste vergebene Sternschnuppe nichts dran ändern.

In Deckung


Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, Fliegen zu lernen. Eine einsame Gegend aus der Luft zu erkunden scheint mir romantisch. Wie Google Earth – aber richtig. Mit Wind im Haar und so. Oder noch besser mit einer dieser alten Leder Fliegermützen und einem weissen Seidenschal. Obwohl – den Wind zu spüren deutet wohl nicht auf besonders grosse Flugsicherheit hin. Entweder die Maschine ist steinalt und offen oder die Tür schliesst nicht richtig und man kann den Boden durch den Spalt sehen. Aber da denk ich nicht dran in meiner Phantasie. Sonst müsste ich ja noch in Betracht ziehen, dass mir so kleine Knattermaschinen Angst machen, nicht zu reden davon, wie speiübel es mir wird, wenn so ein Ding auch nur der geringsten Thermik ausgeliefert ist. Flugstunden sind billiger hier als in Europa, reibt mir Tucker Johns immer wieder unter die Nase. In Schweden kann sich das niemand leisten, sagt er absichtlich falsch, um mich mit der hier gängigen Verwechslung von Schweden und Schweiz zu ärgern. Er ist ein pensionierter Marine, ein Elitesoldat, der in Twentynine Palms hängengeblieben ist, Häuser verkauft und Flugstunden gibt. Da im Makler Business derzeit nichts läuft, versucht er, Leute zur Fliegerei zu nötigen. Tucker Johns ist mindestens siebzig und mit old-school Lässigkeit bewaffnet. Ich hab ihn noch nie ohne seine Westernstiefel gesehen, und seine Fliegerbrille scheint noch original aus den Siebzigern zu stammen. Ach komm, dann kannst du zum Mittagessen nach Cal-Nev-Ari fliegen, sagt er, da gibts ein Restaurant mit eigener Landebahn. Oder du kannst durch den Grand Canyon fliegen, bei Sonnenuntergang. Aber ich stelle mir vor, wie ich als schrullige Alte – Lichtjahre von jetzt – die Gegend so unsicher mache, dass die Leute in ihren Häusern die Köpfe einziehen und sagen, da kommt sie wieder, die verrückte Alte, alle in Deckung. Das finde ich vielleicht die romantischste Vorstellung von allen.

Frohes Sündigen


Wenn Sie diesem Bild nun nicht abkaufen, dass es in einem abgelegenen Teil der Mojave gemacht wurde, weil ich Ihnen noch nie so ein schickes Bild gezeigt habe, dann haben Sie recht gezweifelt. Das Bild ist in Los Angeles gemacht und zwar in einem Pinkberry. Schon wenn ich dieses Wort tippe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen, weil manchmal, ich gestehe, lasse ich die kulinarische Einöde hinter mir und schleiche mich nach LA, um zu sündigen. Zuerst esse ich dann mit meiner Freundin Lilian (nein, ich rede nicht von mir selber in der dritten Person) in einem kleinen vietnamesischen Pho Lokal in Silverlake und danach gönnen wir uns einen Besuch bei Pinkberry. Pinkberry ist ein Phänomen. Ein Glacé Phänomen. Vor wenigen Jahren bin ich zum ersten Mal beim Lesen der Los Angeles Times auf Pinkberry gestossen – Der Geschmack, der 1000 Parkbussen ausgelöst hat, sagte die Headline. Eine junge Koreanerin hatte in einem kleinen Schuppen mit Tresen und ein paar wenigen Tischen, irgendwo in Beverly Hills (klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner) eine so süchtigmachende Glacémischung kreiert, dass sich alle um Parkbussen foutierten. Pinkberry ist aus Yoghurt gemacht und hat viel weniger Kalorien als Eiscrème. Und der Geschmack ist irgendwie, wie soll ich sagen, schwer zu beschreiben, einfach verdammt gut. Es gibt nur drei Geschmacksrichtungen – Original, Grüntee oder Kaffee – und wer will, kann sich seinen Becher noch mit frischen Beeren anreichern lassen. Ganz LA ist mittlerweile süchtig nach Pinkberry. Und weil die Koreanerin einen Bruder mit Business School Abschluss hat, sind auch die ersten New Yorker der Sucht verfallen. Mit Hilfe von Starbucks wird derzeit expandiert - wie Pilze spriessen die Dinger aus dem Boden. Vielleicht gibts ja sogar bald hier oben einen Pinkberry. 130 Meilen ist bei den heutigen Benzinpreisen zwecks Genuss doch etwas weit. But hey, I’m doing it. Und ja, das ist es Wert.

Ekel und Abscheu


Tote Tiere – nicht mein Spezialgebiet muss ich zugeben. Auch nach sieben Jahren in der Wüste kann ich noch keinen toten Vogel und keine tote Maus wegschaffen, nicht mal mit einer Schaufel, ohne hinzusehen. Das ekelt mich ganz abscheulich an. So, dass ich im Haus eingesperrt bin, wenn mir meine Hunde ein “Geschenk” auf die Matte gelegt haben. Ich hasse Geschenke. Ich rufe den Nachbarsjungen an, besteche ihn mit Geld und lasse ihn die Drecksarbeit machen. Einmal habe ich Little Dan für das Wegräumen eines Hasen mit durchgebissener Kehle fünf Dollar bezahlt. Seither liebt er meine Geschenke. Fünf Dollar pro Minute, das kriegt Little Dan sonst nirgendwo. Letzthin musste ich ihn wieder anrufen. Es war bereits dunkel und ich konnte das Haus nicht verlassen. Auf der Matte lag schon wieder so ein kaputter Hase. Ich hatte die Tür rasant geöffnet, schon etwas spät dran, um Freunde zum Nachtessen zu treffen, und mein Schwung wurde abrupt gestoppt. Ich konnte nicht genau hinsehen. Ein lebloses Bündel mit Pfoten, aufgebissen, das war alles, was ich sah. Mein Appetit war verflogen. Eigentlich hätte ich das Nachtessen gleich absagen können. Mit dem grössten Plastiksack, den ich finden konnte, wartete ich an der Seitentür bis Little Dan mit seinem lächerlich kleinen Motorrad angetuckert kam. Deine Hunde fangen viele Hasen in letzter Zeit, sagte Little Dan freudestrahlend und nahm mir den Plastiksack aus der Hand. Ich versteckte mich im Haus. Bis ich Little Dan lachen hörte. Er konnte sich draussen kaum mehr einkriegen vor Lachen. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit. Er hielt mir den Hasen vors Gesicht. Ich schreckte zurück. Es ist ein Plüschhase, stiess er zwischen zwei Lachsalven hervor. Ein Plüschhase – ich werde auch nur noch blöder. Die Hunde müssen das Ding irgendwo in der offenen Wüste gefunden und heim geschleppt haben. Die fünf Dollar habe ich Little Dan trotzdem gezahlt. Schweigegeld.