Wednesday, November 26, 2008

Truthahn Tag


Dieses Jahr wird alles anders sein. Zum ersten Mal in den gut zehn Jahren, in denen ich in Amerika lebe, wage ich mich auf schlüpfriges Terrain vor. Ein Terrain, das selbst vielen Amerikanern den Angstschweiss auf die Stirne treibt, von denen ich ja seit fünf Jahren selber eine bin. Höchste Zeit also, morgen der uramerikanischsten aller saisonalen Tätigkeiten nachzugehen – die Vorbereitung des Thanksgiving Mahls. Wäre der perfekt gekochte Truthahn die Staatsreifeprüfung, gäbe es sehr viel weniger Neueinbürgerungen. Zwar gibt es soviele ultimative Rezepte wie es Familien gibt, und trotzdem lauern der Desaster viele, wenn es darum geht, es den Siedlern und Indianern gleichzutun, die 1621 zusammen das erste Erntedankfest gefeiert haben. Truthahn mit Füllung, Kartoffelstock, Süsskartoffeln, Cranberry Sauce, Mais und Kürbiskuchen gehören auf den Tisch und eine grosse Runde von Familienangehörigen und Freunden darum herum. Und nun da ich all meine Lieben eingeladen habe, verspühre ich ein Herzklopfen, das mit jeder Rezeptvariation, die ich vom Internet runterlade, stärker wird. Glücklicherweise habe ich ein Monster von einem Herd aus den 70er Jahren – unten ein grosser Ofen für den Truthahn, oben ein etwas kleinerer für den Rest. In der Schweiz könnte man Thanksgiving schon darum nicht feiern, weil so ein Vogel nicht in einen durchschnittlichen Schweizer Ofen passt. Mein Truthahn macht sich nun schon seit Tagen in meinem Tiefkühler breit. Und je näher der Termin rückt, an dem ich ihn rausnehmen und bearbeiten muss, desto mehr graust es mir. Ich mag ja Truthahnfleisch gern, wenns schön filletiert ist. Mit was ich nicht gerechnet habe, ist, wie sehr mir schon die Vorstellung widersteht, so ein Unding einzufetten und Füllung reinzustopfen. Aber jetzt ist es zu spät, um meinen Vogel zu begnadigen, wie es der Präsident jedes Jahr mit zwei Truthähnen tut. Meiner muss dran glauben. Und ich damit.

Tuesday, November 18, 2008

Herrenbesuch


Da kamen sie also angefahren in einem abgehalfterten VW Golf, die Jungs aus Tempe, Arizona, für zwei Tage und zwei Nächte, um meinen Neffen Weston zu besuchen, der Blonde im Bild. Hier versammelt sind zwei Drittel der Indie-Rock Band “Small Leaks Sink Ships” mitsamt Entourage. Weston zum Beispiel ist musikalisch so unbegabt, dass es nicht mal für die Dusche reicht, wie er selber sagt (und wie ich auch vermehrt feststellen musste, wenn er mir einen Song vorsingen wollte). Als Hörer hingegen ist sein Geschmack untrüglich und seine Freunde vertrauen auf ihn. Zudem ist er der Hauskünstler der Band, verantwortlich fürs Album-Design. Die Herren haben ein paar Hörproben für Weston mitgebracht (und natürlich ein paar lustige Zigarettchen) und bis tief in die Nacht unter dem Sternenhimmel darüber gesprochen. Um so grösser meine Überraschung als sie mich am nächsten Morgen trotzdem fragten, na ja, es war wohl eher gegen Mittag, ob ich noch etwas für sie zu tun hätte, so rund ums Haus. Inspiriert vom Namen der Band, fielen mir doch einige kleine Lecks ein, die mein Schiff zum Versinken bringen könnten. Da war die eine Aussenwand mit ihren Erdbebenrissen, die neu verputzt werden musste. Nicht zu vergessen der Eucalyptusbaum, dessen unterste Äste mittlerweile über das Dach beim Gästezimmer hinwegkratzten. Zur Verblüffung der so liebenswürdig Hilfe anbietenden Herren waren ihnen die drei Dosen mit dem neuen Verputz schnell in die Hand gedrückt, die Spachtel ebenso. Ich hatte zwar nur eine etwas bessere Laubsäge im Angebot, dafür aber eine gute Leiter, um aufs Dach zu steigen und sich da oben den Arm bis zum Abfallen auszukugeln. Und so sägten sie und verputzten, während ich es mir auf dem Sofa bequem machte und pro forma ein bisschen schrieb. Wenn die Wand denn schon verputzt, das Dach abgedichtet und die Bäume geschnitten werden müssen, warum denn nicht gleich von den Rolling Stones. Oder so.

Wednesday, November 12, 2008

Ödland


“Wir haben es satt, dass die Leute die Wüste als Ödland ansehen”, sagt Donna, die mit ihrem Mann Larry seit 27 Jahren am Fusse des Joshua Tree National Parks Jojoba anbaut. Mit “Leute” meint sie die Investoren und Spekulanten, die sich dieser Tage in Kalifornien mit Solarenergie eine goldene Nase verdienen wollen. Kann man denn überhaupt gegen Solarenergie sein? Kommt auf die Art an, findet Donna. Ihre Aussage bekommt besonderes Gewicht, wenn man erfährt, dass Donna nicht nur eine Jojoba Farm managt, sondern dass sie ebenfalls eine Umweltschutz-Organisation leitet, die sich für die Rechte der Wüstengemeinden und Gerechtigkeit innerhalb der Umweltschutzbewegung stark macht. Warum es sowas besonders in der Mojave Wüste braucht? In Kalifornien ist es Gesetz, dass bis im Jahre 2010 zwanzig Prozent der Elektrizität des Staates von erneuerbaren Quellen kommen muss. Und da man zwei Jahre vor der Zielline noch weit vom Ziel entfernt ist, werden nun auf Biegen und Brechen Solarenergie-Farmen aus dem Boden gestampft, und das ist so ziemlich wörtlich gemeint. Nun ist aber eben die Mojave tatsächlich nicht Ödland, sondern z.B. auch der Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Wüstenschildkröten und Mojave Erdhörnchen. Solarfarmen planieren nicht nur riesige Flächen Land zwecks höchster Effizienz, sie ersticken die Wüstenvegetation im Keim und machen die Sandfläche staubfrei – mittel gesprayter Chemikalien. Und Solar-Farmen brauchen Wasser, viel kostbares Wüstenwasser, um die Panele sauber und effektiv zu halten. Donna und viele ihrer Gleichgesinnten sind zwar für Solarenergie – aber auf den Häuserdächern und für den Eigenverbrauch. Wer hier wohl gewinnt? Ein paar kleine Wüstenaktivisten mitsamt Schildkröte oder die mittlerweile mächtige Solarlobby, welche die Bedürfnisse von elektrizitätshungrigen Millionen-Städten wie Los Angeles und San Diego stillen und damit ein Geschäft machen will.

Thursday, November 6, 2008

Zeitreise


Ich hab keine Ahnung, warum dieses Bild mich fasziniert. Als ich es vor ein paar Jahren im Twentynine Palms Inn zum ersten Mal gesehen habe, war ich davon überzeugt, es bereits zu kennen. Aber meine Nachforschungen ergaben, dass das eine schiere Unmöglichkeit ist. Das Bild wurde 1975 hier lokal gemalt aufgrund eines Fotos aus dem Jahre 1969 – Jahrzehnte vor meinem ersten Besuch in Twentynine Palms also. Vielleicht widerspiegelt das Bild ja einfach mein verklärter Blick auf die siebziger Jahre im allgemeinen und auf die Wüste im speziellen. Filme wie Easy Rider und Zabriskie Point kommen mir in den Sinn, ohne die beiden qualitätsmässig vergleichen zu wollen. Aber sie haben den amerikanischen Westen mit seinen weiten Landschaften auf meiner Top-Ten Fernweh-Liste ziemlich weit nach oben katapultiert, obwohl ich damals noch mit dem Gedanken spielte, ohne Geld und per Autostopp von Basel nach Indien zu reisen. Diesem jugendlichen Leichtsinn hab ich glücklicherweise nicht nachgegeben. Dem mittelalterlichen Leichtsinn nach einem Leben in der Weite des Westens schon, und mit mehr Erfolg, als er der Reise einer Siebzehnjährigen allein unterwegs nach Indien je beschieden gewesen wäre. Und auch wenn ich mich selbstverständlich als eine der jungen Damen im Bild sehe, habe ich trotzdem bereits den halben Weg zur Frau in der gelben Jacke zurückgelegt. “Mrs. Camp’s Thanksgiving Day Party” ist der Titel des Bildes, gemalt von Dean MacKenzie, und ob es kunstgeschichtlich wertvoll ist, könnte mir egaler nicht sein. In diesem Umfeld hier wirkt das Bild übrigens nicht wie ein Siebzigerjahre Portrait, sondern brandaktuell. Alle diese Leute könnte man genauso gestylt heute hier antreffen. Der rechts aussen mit dem weissen Becher ist abgeschnitten mein Neffe Weston, der nun das etwas mulmige Gefühl hat, er schaue sich selber an in einem Bild von 1975. Und Weston ist gerade mal 25 Jahre alt.

Tuesday, October 28, 2008

Kopf im Sand


Und Sand haben wir ja genug hier draussen in der Mojave, dass ich mich während der kommenden Woche darin suhlen kann. Ich mache nun alles, damit ich der Wahlpolitik entgehen kann. Bis jetzt hab ich mich informiert und Debatten geschaut. Ich habe eine Application auf mein iPhone geladen, die mich täglich kontrollieren lässt, wie sich der Vorsprung von Obama auf McCain vergrössert. Ich habe Politblogs mitverfolgt und mich darüber gefreut, dass sich die Rechte immer mehr selbst zerfleischt – nun, da die Zahlen je länger je mehr gegen McCain sprechen. Dass Bush’s Ex-Pressesprecher McClellan sich als Obama Wähler geoutet hat, verursacht ihnen die Krätze. Der ist schliesslich weiss und dem kann man nicht wie Colin Powell (fälschlicherweise natürlich) vorwerfen, seine Position habe nur mit der Solidarität unter Schwarzen zu tun. Und dass McCain so dumme freiwillige Wahlhelfer hat wie Ashley Todd, ist sogar vielen Republikanern peinlich. Ashley hatte der Polizei gemeldet, sie sei von einem Schwarzen überfallen worden, der ihr ein B für Barack ins Gesicht geschnitzt hätte – nur leider war das B falschrum, sie hatte es sich selbst im Spiegel zugefügt. Es sieht also gut aus für uns, und nun, da ich bereits per Post gewählt habe, stecke ich also den Kopf in den Sand vor lauter Angst, dass es dann im letzten Moment doch nicht klappen könnte. It ain’t over until it’s over, wie man so schön sagt. Und da es mir trotz allen Versuchen bis anhin nicht gelungen ist, in einen verfrühten Kurzwinterschlaf zu verfallen, um dann am 4. November abends schlagartig zu Obamas Siegerrede wieder aufzuwachen, muss ich mich nun dem Wüsten-Zen widmen. Ich könnte den Garten zu einer Spirale rechen, die ganzen fünf Acres davon. Oder ich könnte einen Steinwall Stein für Stein um einen Meter versetzen. Aber wahrscheinlich werde ich den Garten virtuell rechen. Zen gibts schliesslich auch als Applikation fürs iPhone.

Thursday, October 23, 2008

Bergpredigt


Jahrelang hab ich es allen Besuchern eingebläut. Schuhkontrolle hab ich gemacht. Mittlerweile getraut sich niemand mehr, bei mir ohne festes Schuhwerk vorzufahren. Wer nur Flip-Flops vorzuweisen hat, kriegt Gartenarrest. Wer nur hundskommune Turnschuhe mitbringt, geht in die offene Wüste, aber nicht auf den Berg. Zu gefährlich. Die Riesensteine sitzen locker auf Sand und fühlen sich auch so an. Nur wer knöchelhohe Schuhe anhat, geht auf den Berg, hab ich gepredigt. Nun ist die Schlangensaison vorbei, was heisst: der Berg ruft, insbesondere die Aussicht. Und was macht die dumme Kolumnistin – sie hüpft mit den Turnschuhen den Berg hoch. Na ja, hüpfen - der Hund ist vielleicht gehüpft. Die Kolumnistin hat gekeucht, aber immerhin, sie hat es nach oben geschafft und hat Haus und Hof fotografiert. Nicht zuletzt für Sie. Man könnte auch sagen, Sie sind schuld. Selbstverständlich ist der Abstieg, wie der gemeine Wanderer weiss, sehr viel fordernder und gefählicher als der Aufstieg. Und die knöchelhohen Wanderschuhe, auf deren Kauf die intelligente Hirnhälfte der Kolumnistin vor ein paar Jahren gepocht hat, wären an den Füssen sehr viel dienlicher gewesen als im Wandschrank. Denn wie nicht anders zu erwarten, strauchelte die Kolumnistin bereits im obersten Drittel, wie sie doch sehr hofft auf einigermassen elegante Art, auch wenn die Grazilität des Falls dem Hund als einzigem Zeugen wahrscheinlich egaler nicht hätte sein können. Immerhin kam die Kamera dabei nicht zu schaden. Dafür aber der Knöchel. Der schwellte denn auf den restlichen zwei Dritteln auch so richtig reizend auf, so dass die Kolumnistin nun auf dem Bürostuhl sitzt, Computer und Bein auf dem Tisch. Samt Eis. Auf dem Bein, nicht dem Computer. Man weiss ja nie bei der.
PS: Ich hoffe doch, lieber Herr Pfarrer H. aus K. in BL, Sie empfinden den Titel dieser Kolumne nicht als Gotteslästerung. Ach nein, Sie doch nicht.

Wednesday, October 15, 2008

Noch drei Wochen


Nach den Wahlen am 4. November wird alles besser, sagt Chester. Er wischt die Theke sauber, nachdem ein Glas voll Bourbon die Strecke bis zu Ted, wie auf dessen Automechaniker-Hemd aufgestickt ist, andern Ende der Bar, nicht ganz sauber zurückgelegt hat. Jemand hat im falschen Moment einen Fünfdollar Schein auf die Theke geknallt. Ted zeigt wortlos auf sein Glas und Chester füllt nach. Kein einziger verlorener Tropfen wird hier akzeptiert. Chester kommt wieder zu mir zurück und lehnt sich über die Theke, wie wenn er sicherstellen wollte, dass niemand anders ihn hört. Das ganze Land spinnt doch, sagt er und deutet auf alle seine Gäste, noch drei Wochen müssen wir diesen Dreck aushalten, dann wird endlich alles wieder normal. Ich schaue mich um. Ehrlich gesagt sehen nicht alle Durstigen hier drinnen so aus als hätten sie mit Regierung, republikanisch oder demokratisch, überhaupt etwas am Hut und als hätten sie überhaupt schon mal gewählt. Wie die Wahl denn ausfallen müsse, damit die Welt für ihn wieder in Ordnung komme, frage ich und deute auf den Fernseher, der grad einen Ausschnitt aus der letzten Obama-McCain Debatte zeigt. Ach, scheissegal, sagt Chester, wirklich, macht überhaupt keinen Unterschied. Ich muss ihn ziemlich verdutzt angesehen haben, denn er macht es sich nun mit aufgestützten Unterarmen auf der Theke bequem, um mir seine Weltsicht zu erklären. Die Börse, sagt er, ist doch auch zusammengeklappt, weil keiner sich mehr um irgendwas kümmert ausser Wahlen, Wahlen, Wahlen. Seit Monaten sind die Würfel in der Luft und keiner weiss, wie sie fallen werden. Darum geht alles vor die Hunde. Von historischer Depression will er nichts wissen. Von historischer Wahl auch nicht. Alle vier Jahre der gleiche Mist, sagt er. Die Fünfdollar Note am andern Ende der Bar schreit nach Bier. Ich komm ja schon, verdammt nochmal, bellt Chester zurück, ich rede hier mit einer Lady.