Wednesday, January 21, 2009

Reisefieber


Plötzlich sind wir wieder wer. In den Augen der Europäer jedenfalls. Während wir unter Bush den steilen Abstieg zu den Pariahs der Welt vollzogen haben, hat uns die Wahl Barack Obamas ins höchste Amt der USA auf einen Schlag aus dieser Misere heraus und in luftige Höhen katapultiert. Nun kommen sie wieder, die Europäer. Es wird wacker gebucht. Man darf sich offenbar öffentlich wieder dazu bekennen, nach Amerika in die Ferien zu reisen, ohne dass man mit sofortiger Wirkung aus dem Freundeskreis verstossen wird. Dass der Dollarkurs tief und die Schnäppchen dank der Rezession sogar nur noch für einen Apfel und kein Ei zu finden sind, mag bei der geschwinden Richtungsänderung der öffentlichen Meinung ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Von hier aus sieht das Ganze etwas gar wendehalsig aus, um ehrlich zu sein. Schliesslich ist das amerikanische Volk am 4. November nicht samt und sonders ausgetauscht worden. Und je nach dem wem man glaubt, hat schliesslich nicht mal die Hälfte der Amerikaner Bush vor acht Jahren wirklich gewählt. Wie schnell der Anti-Amerikanismus grassiert hat, fand ich ungefähr gleich befremdlich wie die Geschwindigkeit, mit der er nun aus der europäischen Weltsicht wieder verschwunden ist. Aber wie auch immer, wir nehmen’s wie’s kommt. Schliesslich sind wir froh für jeden, der noch ein paar Dollar in unsere Wirtschaft pumpt. Und reinpumpen tun sie, die Europäer. Da wird mit Koffer voller Übergewicht zurückgeflogen. Es scheint sie noch nicht zu geben, die Rezession in Europa. Das Portemonnaie ist immer noch prall gefüllt. Ob sie beim ersten Fehler Obamas wieder wegbleiben – wir werden es sehen. Anders als bei den USA scheint die Tourismus-Attraktivität mancher Länder nicht mit ihrer fehlbaren Regierung gekoppelt zu sein. Dass viele Leute, die in den letzten acht Jahren den USA ferngeblieben sind, ausgerechnet nach Berlusconi’s Italien gefahren sind – unvoreingenommene Weltsicht?

Wednesday, January 14, 2009

Besitzerstolz


So, nun sind Sie hoffentlich neidisch. Und wenn nicht, liegen Sie falsch. Mein indianischer Türkisschmuck – seit wann ist denn Türkis rot, höre ich Sie sagen – jaja, eines der Armbänder ist Koralle, nun seien Sie doch nicht so – also, nochmals, mein indianischer Schmuck – Türkis und Koralle - auf den lass ich nichts kommen. Ungefähr alle zehn Jahre bin ich damit ganz vorne mit dabei, ob ich will oder nicht. Die Modeindustrie entdeckt den Südwest-Charme in regelmässigen Abständen wieder. Dann taucht Türkis für eine oder zwei Saisons in Hochglanzmagazinen auf, gerne auch als glatt polierte Neuinterpretation in scheusslichen Fassungen. Die mehr auf Authentik bedachteren unter den Einkäufern, wie beispielweise die Leute von Ralph Lauren, schwärmen dann aus nach Gallup in New Mexico, wo die echten, alten Stücke zu finden sind. Dort schlagen sie zu. Gallup ist die indianische Hauptstadt der USA, wo der ganze Handel mit indianischem Kunsthandwerk stattfindet. Da gibt es Tresorräume voller Türkisschätze, die zur Pfandleihe gebracht worden sind, alle fein säuberlich mit Namensschildchen, Preis und Datum versehen, bis wann sie ausgelöst werden müssen. Ein Blick in so einen Tresorraum und ich brauche ein Sabberlätzchen. Ich will sofort alles. Jedes einzelne Stück. Meine Sammlung kann noch Zuwachs vertragen, wie Sie sehen, auch wenn ein paar substantielle Stücke drunter sind. Navajo Frauen tragen alles, was sie besitzen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich hab da andere Gepflogenheiten. Was mir als Wüstenschlampe besonders gefällt, ist, dass so ein Türkisarmband auch das langweiligste schwarze T-Shirt rausreisst, was mich hier oben schon fast overdressed erscheinen lässt. Nun ist die Türkis Modewelle glücklicherweise wieder am abebben. Aber das interessiert hier in der High Desert so oder so niemanden. Modeströmungen – was ist das? Ich mag diese zeitlose Gleichzeitigkeit des Andern.

Angeschmiert


Von weitem dachte ich, das Männchen an der Ampel sei ausgestopft. Dann winkte es mir nett zu, als ich auf die Kreuzung zufuhr. Als das Licht zu Rot wechselte, rief es mir durchs offene Wagenfenster “Happy New Year” zu – man kann ja durchaus das Fenster offenstehen haben an schönen Januartagen in der Wüste. “Ebenfalls, ebenfalls”, rief ich zurück und winkte, der Gummikopf konterte mit “Wünsch Dir was Schönes fürs 2009. Ein Wunsch wird bestimmt in Erfüllung gehen.” Auch wenn der Gummikopf nur aus Promotionszwecken für einen lokalen Ölwechselschuppen da postiert war und für Geld winkte, der Ärmste – man glaubt ja immer wieder gern an sich selbst erfüllende Prophezeihungen. Was würde ich mir denn wünschen, wenn ich sicher sein könnte, dass ich es kriegte? Da fiel mir viel ein, zuerst die üblichen Verdächtigen wie beste Gesundheit bis 100, dann im Kreise der Lieben tot umfallen, Säcke voll Geld und der grosse Weltfrieden – man beachte die Reihenfolge, die mein Kopf spontan machte. Der Gummikopf hatte nur die Erfüllung eines einzigen Wunsches garantiert. Da musste die Versuchsanordnung darauf hin evaluiert werden, ob sie ausgetrickst werden konnte. Konnte man sich mit Säcken voll Geld Gesundheit kaufen? Würde der Weltfrieden eh jedermans Glück garantieren? Sollte ich bescheiden sein und mich lediglich mit dem langersehnten Swimming Pool begnügen? Während ich mir meine Zukunft in den buntesten Farben ausmalte, war der Gummikopf ans Fenster getreten und reichte mir einen Gutschein für einen Ölwechsel. “Jeder Zehnte, der zurückwinkt, kriegt ein Geschenk. Na, so bescheiden hatte ich aber nicht sein wollen. Ein lumpiger Ölwechsel stand also für mich in den Sternen. Ich beschloss, diesen wenigstens im übertragenen Sinn zu verstehen: alles würde wie geschmiert laufen im 2009. Das konnte ja nur heissen, dass mir jemand, noch vor dem Sommer, einen Pool, schenken würde, einen Gesundheits-Jungbrunnen sozusagen.

Saturday, December 27, 2008

Finger weg


Alles hatte so gut angefangen letztes Jahr. Schon im Spätsommer war man sich einig gewesen, die Familienweihnacht findet dieses Mal in der Wüste statt. Das Wetter ist meist sonnig, das Haus gross, und die diversen Weihnachslichterketten sind seit einiger Zeit eh das ganze Jahr um den riesigen Kaktus vor dem Wohnzimmerfenster gewickelt geblieben. Einem mehrtägigen, gemütlichen Schlemmen auf diversen Flätz-Sofas stand nichts mehr im Wege. Ich war bereits ab Ende August weihnachtsbereit. Nur eine Bedingung wollten die Lieben erfüllt haben, bevor die Flüge gebucht wurden. Ich musste mich verpflichten, mit meinem digitalen Videorecorder alle TV Folgen von “House”, “Grey’s Anatomy”, “Brothers and Sisters” und eine ganze Saison “24” aufzuzeichnen, was ich geflissentlich erledigte. Was macht man nicht alles, dass die Lieben den Freunden zuhause den Speck durch den Mund zu ziehen konnten mit ihrem Vorabwissen. Um hier niemanden blosszustellen, sagen doch einfach – unglücklicherweise ist das technisch unbegabteste Familienmitglied zuerst angekommen. Und konnte trotz Verbot die Finger nicht vom digitalen Videorecorder lassen, als ich aus dem Haus ging. Nicht mal über meine Leiche dürfen die Europäer meine TV Fernbedienungen anfassen, ohne meinen Einführungskurs absolviert zu haben. Das System funktioniert dermassen anders hier und ist so schnell in den Sand zu fahren – ich spreche leider aus Erfahrung. Auch diesmal wieder. Die fein säuberlich aufgezeichneten Serien waren in der Weite der Mojave verschollen, als ich zurückkam – und die Familie auf sich selber zurückgeworfen. Statt in die Röhre zu gucken, musste geredet werden, statt zu flätzen, mussten lange Fussmäsche absolviert werden. Das war mindestens so komplex wie “Brothers and Sisters” und nur beinahe so spannend wie “24”. Trotzdem, wer meine Fernbedienungen anfasst, kriegts mit der einsamen Rächerin zu tun. Weihnachten hin oder her.

Die Post ist da


Die Informationstafel vor dem Postgebäude ist fast grösser als die Post selber. Und sie ist mit ihrem Betonsockel mit Bestimmtheit stabiler gebaut als das lottrige Holzhüttchen dahinter. Die Inschrift lässt aber keinen Zweifel offen – man befindet sich hier auf historischem Grund. Ob mans glaubt oder nicht, das kleine Postgebäude hier mitten in der Mojave Wüste, unscheinbar ans Ende einer staubigen Strasse gebaut, ist das meist fotografierte Postgebäude der Vereinigten Staaten. Das muss ja wohl ein Witz sein, denkt man erst mal, und hält nach den Busladungen von mit Kameras bewaffneten japanischen Touristen Ausschau. Aber da ist kein Bus. Da ist auch kein Auto. Die Hauptstrasse von Pioneertown ist nur zu Fuss und zu Huf begeh- und bereitbar. Pioneertown wurde 1946 von einer Gruppe von Hollywood Persönlichkeiten, allen voran Roy Rodgers, als Western Film Set gegründet. Die permanente Stadt, im Stil der 1880er Jahre erbaut, hat in über 200 Filmen und TV Serien als Kulisse herhalten dürfen, und noch öfters tauchte sie als Hintergrund für viele weitere Produktionen wie Cisco Kid oder der Gene Autry Show auf. Die Auszeichnung, das meist fotografierte Postgebäude der USA zu sein, nimmt man denn auch mal einfach so für sich in Anspruch, Beweise gibt es keine. Trotzdem: Hier in Pioneertown Post Master zu sein, dürfte doch glatt einer der begehrtesten Posten innerhalb des amerikanischen Postwesens sein. Schliesslich ist die Post wie alle andern Gebäude an der Hauptstrasse massstäblich zu klein gebaut, damit der Westernheld auf Film imposanter aussieht, wenn er vor dem Saloon die Knarre zieht und einen Taugenichts niederstreckt. Und was für John Wayne und Gary Cooper recht war, kann doch für so einen Post Master nur gerade billig sein. Man kann sich schliesslich auch mit einem Postsack in der Hand zu Überlebensgrösse aufplustern und eine gute Figur machen dabei. Oder es zumindest versuchen.

Fegefeuer


Für meinen Freund Ron ist Yucca Valley die Vorhölle. Der hat leicht reden. Er wohnt äusserst malerisch hoch über Pioneertown. Von seinem Haus aus sieht man meilenweit nichts als unberührte Natur in alle Richtungen. Recht hat er trotzdem – die Vorhölle hat nun wirklich wenig Charme zu bieten. Wie Sie im Bild sehen, ist Yucca Valley kein Ausbund an Schönheit. Und es ist nicht so, dass ich lange suchen musste, um dort ein speziell nichtssagendes Bild zu machen. Der Begriff “Strassenzeilendorf” kommt mir aus dem Schweizer Geografie-Unterricht in den Sinn. Obwohl – Yucca Valley wäre wohl eher empört zu wissen, dass ich den Ort als Dorf bezeichne, als dass ich seine mangelnde Schönheit beklage. Man ist stolz, das lokale Business Zentrum zu sein. Und wir, die fremden Fötzel aus den umliegenden Gemeinden, sind froh, dass die Hässlichkeit hier oben mehr oder weniger auf einen Ort beschränkt bleibt. Jede erdenkliche Fastfood Kette ist dem Highway 62 entlang aufgefädelt und geht als Restaurant durch. Ein Autohändler nebem dem andern bleibt auf Halden von grossen Neuwagen sitzen. Der Unterschied zu den Parkplätzen vor den vielen Supermärkten ist lediglich der Glanzfaktor. Ganz offensichtlich werden die Neuwagen regelmässig vom Wüstenstaub befreit – fast so als wollte man verleugnen, wo man lebt. Die grossen Box Läden, wie man sie hier angemessen bezeichnet, sehen alle gleich aus, wie grosse Schachteln eben. Und es sind nur die billigsten und geschmacklosesten wie Walmart, die überleben können. Auch mit meiner und Rons Hilfe, wir gebens ja zu. Das Fegefeuer können auch wir nicht auslassen. Der Mensch will schliesslich essen, braucht ab und an ein Schnupfenmittel oder einen Schraubenzieher. So sind wir Schmarotzer dankbar, dass Yucca Valleys für uns die Drecksarbeit übernimmt und hässlich und schnörkellos funktioniert, damit die Wüstenfanatiker nicht in ihrer Schönheit verhungern müssen.

Projektionsfläche


Die Mojave ist eine halbe Welt weit weg. Die Mojave ist riesig. Die Mojave ist ab vom Schuss. In der Mojave versandet jede Spur. So oder ähnlich müssen meine Freunde in der Schweiz denken, wenn sie sich mein Umfeld vorstellen – bewusst oder unbewusst. Und damit meine ich auch die Freunde, die mich schon viele Male besucht haben. Wie anders ist es zu erklären, dass sich hier draussen Geheimnisse ansammeln, Geheimnisse von geradezu radioaktiver Sprengkraft. Sie werden über die Satellitenschüssel auf meinem Dach in die Inbox meines Mailprogramms gebeamt. Sie werden über Nacht auf meinem Telefonbeantworter geparkt. Und nicht selten werden sie mir zwischen drei und fünf Uhr nachmittags meiner Zeit ins Ohr gesäuselt. Dann ist es in der Schweiz nach Mitternacht. Wen kann man dann noch anrufen mit brisanten Neuigkeiten ausser die Mojave. Der im Verlauf des Abends angetrunkene Alkoholpegel setzt die Hemmschwelle tief und macht die Zunge locker – der Mojave kann mans sagen. Das zählt nicht als Verletzung der Schweigepflicht. Du, heute hab ich sie geküsst und es war schrecklich. Du, jetzt hat doch der eine Affäre. Du, die Kuh hat ihre Geschäftspartner ausgebootet und alle Kunden mitgenommen. Du, dem X hats ausgehängt, der geht. Diese Gepflogenheiten meiner Freunde hier so offenzulegen, birgt keine Gefahr ausser der, dass Sie meine Freunde eines schludrigen Charakters bezichtigen mögen, womit Sie natürlich völlig unrecht hätten. Meine Lieben werden mich trotz allem weiterhin einweihen, denn was raus muss, muss raus. Da gibts nichts praktischeres als eine Freundin mitten in der Mojave und neun Stunden Zeitverschiebung. Die Mojave hört sich alles an. Die Mojave versteht. Die Mojave besänftigt. Und ab und zu macht der Mojavewind aus einer kleinen Windhose ein Orkan und lacht sich ins Fäustchen. Gut dass niemand weiss, dass der feine Mojavesand bis in die Schweiz getragen werden kann.