Sunday, December 27, 2009

WildWestWeihnacht


Gibt es überhaupt Weihnachten im Wilden Westen, fragen Freunden aus der Schweiz. Aber sicher doch gibt es Weihnachten in der Wüste. Jeder Besucher, dem man einen Cowboy Hut aufsetzen kann, ist hier a priori einmal gern gesehen. Selbst wenn er vom Nordpol kommt und statt einem pferdestarken Pickup Truck einen Schlitten fährt, der von Renntieren gezogen wird. Rotnasigen Renntieren namens Rudy, wenn ich präzisieren darf. Irgendwie will mir Weihnachten hier etwas weniger heilig erscheinen als in Europa, etwas weniger ernst. Das fängt schon bei der Dekoration an. Da gibts alles – von schön bis kitschig, von dezent bis zum totalen Overkill. Regelrechte Strassenschlachten finden da mancherorts statt, bei denen der eine Nachbar den andern auszustechen sucht. Da werden gar hydraulische Lifts gemietet, um die Dekorationen an Haus und Bäumen noch höher und präziser anbringen zu können. Das Spiel mit dem Lift ist dabei wohl mindestens so interessant wie die Dekoration. Das Fest im Familienkreis ist dann eigentlich eine grosse, gemütliche Pyjama Party, denn hier werden die Geschenke am Morgen des Weihnachtstages verteilt, nicht an Heiligabend. Und weil die Kinder sich eh seit fünf Uhr morgens schlafend stellen und warten, bis Santa Claus mit seinen Geschenken den Kamin runtergerutscht kommt, wird nun bestimmt keine wertvolle Zeit damit verschwendet, das gute Tuch anzuziehen bevor man sich auf die Geschenke stürzt. Vielleicht hats ja damit zu tun, dass in den USA Thanksgiving die Pole Position des höchsten Feiertags mit festem Ritual einnimmt, da bleibt für Weihnachten mehr kreativer Freiraum. Auch der, am Nachmittag ins Kino zu gehen, was zwar wiederum auch schon fast zum festen Ritual geworden ist; es gibt viele Filme, die am Weihnachtstag ins Kino kommen. Für mich wirds “Crazy Heart” sein, in dem Jeff Bridges einen abgehalfterten Countrysänger spielt. Womit wir wieder im Wilden Westen wären.

Sunday, December 20, 2009

Ueberfall


Vor ein paar Tagen wurde ich auf der Post überfallen – von einer Kolumne. Sowas wünscht man sich als Kolumnist. Man könnte es auch eine geschenkte Kolumne nennen. Dabei hatte ich doch nur meine Simpsons Briefmarken kaufen wollen, bevor sie ausverkauft sind. Ich mag Briefmarken und Postkarten. In den Zeiten von elektronischen Postkarten freuen sich die Leute über die handfeste Sorte besonders. Ich stehe also in der Schlange vor dem Postschalter. Am Schalter steht ein älterer Mann in Schwarz. Apropos Mann in Schwarz – stellen Sie sich einfach Johnny Cash vor, nur mindestens zehnfach so rau. Schwarze Cowboyboots, schwarze Jeans, ein schwarzes Hemd, das über seinem runden Bauch spannt. Sonst ist nichts rund an ihm, und auch der Bauch sieht stahlhart aus. Die Haut ist wettergegerbt und vernarbt. Ist das der tätowierte Umriss einer Träne neben seinem Auge? Sein schwarzes Baseball Cap sagt in verschmutztem Weiss: LEAVE ME ALONE, lass mich in Ruhe. Er redet laut mit dem Mann hinter dem Schalter. Das sei ihm langsam zu teuer, immer diese Post ins Gefängnis nach Texas zu schicken, sagt er, das Kind solle besser bei ihm leben. Nun werde sie Weihnachten da drin verbringen müssen. Der Postbeamte macht ruhig seine Arbeit. Dann dreht sich der Mann in Richtung Schlange. Sie ist ein gutes Kind, sagt er zu uns, wirklich, ein gutes Kind. Sie wollte doch nur ein bisschen Cash verdienen für Weihnachten. Und dann wars halt ein Undercover Polizist, dem sie Drogen verkauft hat. Er zuckt mit den Achseln und lacht den Herr vor mir an. Dieser lächelt unsicher zurück. Als der Mann in Schwarz weg ist, dreht er sich zu mir um: Wie wärs mit einem zweiten Job, um sich was für Weihnachten dazuzuverdienen, fragt er.
PS. Tränen Tätowierungen werden meist mit Gefängnissen und Gangs assoziiert. Eine leere Träne kann bedeuten, dass ein Familienmitglied des Trägers getötet wurde, während er im Gefängnis sass.

Friday, December 11, 2009

Scott-Trupial, Architekten


Nach generationenlanger Planung ist dieses Jahr das neue Projekt “Scott-Trupial Residence”, welches das Architektenpaar für den Eigenbedarf in der südlichen Mojave Wüste entwickelt hat, vollendet und bezogen worden. Die Scott-Trupial Familie gehört zum weitverzweigten Vogel Clan, welcher sich seit dessen Anfängen dem Nestbau verschrieben hat. Angesichts der komplexen Aufgabenstellung und vieler widriger Bauvorgaben wurde darauf verzichtet, unter Amsel, Drossel, Fink und Star zu einem ausgeschriebenen Wettbewerb einzuladen. Die “Scott-Trupial Residence” ist ökologischer und sozialer Wohnungsbau erster Güte, wurde sie doch lediglich aus kostenfreien, rezyklierten Materialien und unter Einhaltung strengster Umweltvorschriften gefertigt. Von umliegenden Yucca Palmen wurden tote Palmwedelfasern gesammelt und auf beste Qualität untersucht. Dann wurden die baumaterialfähigen Stücke per Flügelschlag und somit mitsamt bester CO2 Bilanz zum vorgesehenen Grundstück transportiert. Dort wurden die harten, aber biegsamen Palmwedelfasern in akribischer Schnabelarbeit und mittels einer hochkomplexen Aufhängetechnik in die lebende Yucca Palme eingebaut. Das Innendesign und der Innenausbau des an einen hängenden Korb anmutenden Bau wurde vom Architektenpaar selber übernommen. Die vorherrschenden Materialien: weiche Gräser und andere weichen Pflanzenfasern. Mit dem Bau der “Scott-Trupial Residence” ist den Architekten ein dekonstruktivistisches Meisterwerk gelungen, welches eine minimale Intervention in den Wüstenkontext darstellt. Mit ihrem Entwurfansatz attackieren Scott-Trupial herkömmliche Nesting Vorstellungen und kontrapunktieren sie mit einer Leichtigkeit und Luftigkeit, welche der zeitgenössische Architektur in den letzten Jahren gefehlt hat. Das Projekt ist bereits vom American Institute of Architects AIA ausgezeichnet worden, und die Architekten stehen auf der Shortlist für den Pritzker Preis.

Eintopf


Es gibt solche und andere Restaurants in so einer Wüste. Die einen sind exzellent. Die andern sind eher in der Minus-Fünf-Sterne-Kategorie einzuordnen. Die einen gehören hier hin wie Kakteen, Triebsand und das Nichts. Die andern gehören hier nicht hin wie bewässerter Golfrasen, der aussieht, als sei er mit der Nagelschere geschnitten worden. In die letztere Kategorie gehört für mich ein Sushi Restaurant. In den neun Jahren, in denen ich nun in der Wüste lebe, habe ich mich nicht dazu überwinden können, die Hemmschwelle zu frischem Fisch inmitten von viel Sand zu überwinden. Da ist was falsch an dieser Geschäftsidee, obschon ich weiss, dass der Fisch in Los Angeles, wo es die hervorragendsten Sushi Restaurants gibt, ja auch nicht in den Gewässern vor der Stadt gefangen wird, was übrigens auch nicht wünschenswert wäre. In Los Angeles esse ich aber sehr gerne Sushi. Wie das halt so ist mit Vorurteilen, bin ich darin konsequent inkonsequent und absolut willkürlich. Während ich mich über Sushi in der Wüste aufhalte, mag ich Thailändisch in Joshua Tree ganz gern. Und Koreanisch in Desert Hot Springs find ich gut, wohingegen ich dem französischen Bistrot in Twentynine Palms nicht traue. Die mexikanische Küche nehme ich schon gar nicht mehr als ausländisch wahr, und dass die amerikanische Hausmannskost in der Roten Scheune von einem chinesischen Ehepaar gekocht und serviert wird, fällt mir ebenfalls nicht mehr auf. Das beste Restaurant weit und breit ist allerdings ein sehr lokales, das Twentynine Palms Inn. Die bauen ihr Gemüse hinter dem Hotel selber an – in einem Garten, der nach den Anbauregeln der Chemehuevi Indianer angelegt ist. Und obwohl das Hotel in der einzigen Oase in der Gegend liegt, ist es faszinierend, dass dies mitten in der Wüste so hervorragend funktioniert. Was man in Sachen Restaurants allerdings mit Sicherheit sagen kann: Nirgends wo Top draufsteht, ist auch Top drin.

Saturday, November 21, 2009

Der Cowboy, der aus der Kälte kam


R. ist wie jeder andere Vierjährige – voller Schalk und Entdeckungsdrang. Er lebt in Los Angeles, aber er mag es sehr gern, wenn seine Eltern mit ihm zu mir auf Besuch kommen. R. mag die offene Wüste. Er er mag, dass wir auf den Berg hinter dem Haus steigen und er unterwegs seinen Holzstock in die Ameisenhügel stecken kann. Und er mag, dass es unendlich viel Platz gibt und meist warm genug ist, dass Innen und Aussen ineinander übergehen und er mit seinem Laufrad überall rumkurven kann. Auch wenn er gerne Feen und Prinzessinnen hat und seiner Freundin Zoe sogar ab und zu in ihre rosa Pantoffeln folgt – R. mag Cowboys. So sehr, dass er zur Zeit am liebsten als Cowboy in den Kindergarten geht, Stiefel, Lasso und Hut eingerechnet. Sein “Hände hoch”, sein breitbeiniger Gang und wie er seine Daumen in seinen Jeanstaschen einhakt – Texas lässt grüssen. Aber R. hat mit Texas rein gar nichts zu tun. R. heisst wirklich Ruslan und wurde nördlich vom Polarkreis in Murmansk, Russland geboren, wo ehemals die Sovjet U-Boot Flotte beheimatet war und heute hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die ersten zwei seiner Lebensjahre hat Ruslan drei Stunden von Murmansk entfernt, in Apatity, in einem Kinderheim verbracht – einem guten Kinderheim, wie Ruslans Eltern Leslie und Arlen fanden, nachdem sie Ruslan dort mehrere Male besucht hatten, bevor die Adoption rechtsgültig wurde. Vor einem ihrer Reisen zu Ruslan hatte ich Leslie und Arlen gebeten, mir eine Postkarte von Apatity zu senden. Ich habe keine erhalten – es gibt keine Postkarten in Apatity. Heute zeugt nur noch Ruslans Name von seiner Herkunft. Wenn zufälligerweise irgendwo Russisch gesprochen wird, hört er hin, versteht aber nur noch wenig. Er hat Glück gehabt mit seinen Eltern und sie haben Glück gehabt mit ihm. Wenn ich mit dem kleinen Cowboy durch die Wüste gehe, stelle ich mir sein Leben vor, wenn er nicht adoptiert worden wäre und kriegs nicht hin.

Saturday, November 14, 2009

Es ist ein Kreuz


Das müssen sich auch die obersten Richter der Vereinigen Staaten von Amerika sagen, seit sie am 7. Oktober einen ganz speziellen Fall angehört haben und nun darüber befinden müssen. Seit Jahren ist ein wütender Gesinnungskrieg über ein einfaches Kreuz mitten in der Wüste entbrannt. Das Kreuz wurde 1934 von einem Veteranen des Ersten Weltkriegs, Riley Bembry, aus Wasserrohren gebaut und weiss angestrichen. Es ist 2 Meter hoch und 1.5 Meter breit und es soll alle Gefallenen aller Kriege ehren. Bembry hat das Kreuz in der menschenleeren Mojave auf einen Steinhügel auf öffentlichem Land aufgestellt. Und wenn ich menschenleer sage, meine ich, dass mir da manchmal für eine halbe Stunde kein Auto begegnet. Das Kreuz habe ich noch nie gesehen. Seit zehn Jahren müssen die Behörden das Kreuz verstecken, denn die ACLU, die Amerikanische Union für zivile Freiheit, klagte. Das Kreuz als religiöses Symbol dürfe nicht auf öffentlichem Grund und Boden stehen, sagen sie. Die ersten beiden Jahre wurde es mit einem weissen Wachstuch umhüllt. Das war zu einfach wegzuschneiden, also wurde nach zwei Jahren eine Holzkiste um das Kreuz gebaut. Und die gibts heute noch. Manche Leute schreiben was auf die Kiste, dann wird sie wieder neutral übermalt. Die Kiste ist nun auffallender als das feine Kreuz es je war und sieht aus wie eine Plakatstelle, die auf Werbung wartet. Der Fall hat nationale Aufmerksamkeit erregt. Henry und Wanda Sandoz, die Bembry, dem Erbauer des Kreuzes, bei dessen Tod versprochen haben, zu seinem Kreuz zu schauen, waren bei der Anhörung am Obersten Gerichtshof dabei. Sie sind überzeugt - nicht in seinen wildesten Träumen hätte sich Bembry vorstellen können, dass die höchsten Richter des Landes eines Tages darüber befinden würden, ob sein Kreuz Daseinsberechtigung habe oder nicht. Es ist ein Kreuz mit der Religion, sagen die einen. Es ist doch nur ein Kreuz, was solls, die andern.

Friday, November 6, 2009

Prêt-à-porter


Pünktlich zum Beginn der Herbstsaison bleibt hier alles beim Alten. Jeans, Hemd, T-Shirt, und das ists dann auch schon. Im Winter eine Daunenjacke drüber und fertig. Keine neue, allgegenwärtige Modefarbe, keine körperbetonten Schnitte, keine der neuesten Boyfriend Jeans – für Frauen geschnittene Jeans, die so aussehen, als wäre Frau morgens, versehentlich oder nicht, in die Jeans des Boyfriends gestiegen. Wenn Frauen hier weite Jeans tragen, dann sind es tatsächlich die des Mannes und sie sitzen bedeutend schlechter als das, was die Hochglanzmagazine für den Modeherbst 2009 vorgeben. Der It-Bag hier draussen ist nicht die neueste Prada Tasche, auch nicht die neueste Prada-Kopie, sondern die Plastiktüte vom Stater Brothers Supermarkt. Die Wüste war noch nie ein Ort, an dem Modeströmungen auszumachen sind. Zumindest nicht bei den Einheimischen - Paris und Mailand sind verdammt weit weg. Touristen fallen gern als overdressed auf. Immer das Neueste, immer das Beste – sogar für eine Fahrt durch den Nationalpark. Es sind nicht zuletzt die Schuhe, die sie verraten. Aber die teuren Designer-Turnschuhe und die schicken Lederschuhe sind innert Kürze staubig und zerkratzt und nicht mehr von unsern Billigmodellen zu unterscheiden. Nach dem ersten Schock setzt die grosse Erleichterung ein und selbst die Gäste, die mit grossen Koffern angereist sind, lassen diese in einer Ecke verstauben und passen sich an: Jeans, Hemd, T-Shirt, und das ist es dann auch schon. Es ist erfrischend, das Leben als zeitlose Wüstenschlampe. Im Pyjama zum Supermarkt – wen kümmerts. Und apropos zeitlos – manchmal kann man hier anhand der Kleider der Menschen nicht mal die Dekade ausmachen, in der wir leben. Dass in der Gegend überdurchschnittlich viele Mode Fotoshootings stattfinden ist nur eine kleine Ironie des Schicksals. Die Einheimischen lässts kalt und auch die Models verfallen dem Wüstenchic gern nach getaner Arbeit.