Saturday, November 21, 2009

Der Cowboy, der aus der Kälte kam


R. ist wie jeder andere Vierjährige – voller Schalk und Entdeckungsdrang. Er lebt in Los Angeles, aber er mag es sehr gern, wenn seine Eltern mit ihm zu mir auf Besuch kommen. R. mag die offene Wüste. Er er mag, dass wir auf den Berg hinter dem Haus steigen und er unterwegs seinen Holzstock in die Ameisenhügel stecken kann. Und er mag, dass es unendlich viel Platz gibt und meist warm genug ist, dass Innen und Aussen ineinander übergehen und er mit seinem Laufrad überall rumkurven kann. Auch wenn er gerne Feen und Prinzessinnen hat und seiner Freundin Zoe sogar ab und zu in ihre rosa Pantoffeln folgt – R. mag Cowboys. So sehr, dass er zur Zeit am liebsten als Cowboy in den Kindergarten geht, Stiefel, Lasso und Hut eingerechnet. Sein “Hände hoch”, sein breitbeiniger Gang und wie er seine Daumen in seinen Jeanstaschen einhakt – Texas lässt grüssen. Aber R. hat mit Texas rein gar nichts zu tun. R. heisst wirklich Ruslan und wurde nördlich vom Polarkreis in Murmansk, Russland geboren, wo ehemals die Sovjet U-Boot Flotte beheimatet war und heute hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Die ersten zwei seiner Lebensjahre hat Ruslan drei Stunden von Murmansk entfernt, in Apatity, in einem Kinderheim verbracht – einem guten Kinderheim, wie Ruslans Eltern Leslie und Arlen fanden, nachdem sie Ruslan dort mehrere Male besucht hatten, bevor die Adoption rechtsgültig wurde. Vor einem ihrer Reisen zu Ruslan hatte ich Leslie und Arlen gebeten, mir eine Postkarte von Apatity zu senden. Ich habe keine erhalten – es gibt keine Postkarten in Apatity. Heute zeugt nur noch Ruslans Name von seiner Herkunft. Wenn zufälligerweise irgendwo Russisch gesprochen wird, hört er hin, versteht aber nur noch wenig. Er hat Glück gehabt mit seinen Eltern und sie haben Glück gehabt mit ihm. Wenn ich mit dem kleinen Cowboy durch die Wüste gehe, stelle ich mir sein Leben vor, wenn er nicht adoptiert worden wäre und kriegs nicht hin.

No comments: