Wednesday, June 3, 2009

Wüstenzeit


Buchstabier mir deinen Vornamen, Lil, sagte meine Nachbarin Sally aufgeregt als sie mich vom Wochenend-Markt anrief, ich weiss nur, dass du ihn anders schreibst als wir. Wir bringen dir ein Geschenk. Ein paar Stunden später standen sie und ihr Mann David vor meiner Tür und überreichten mir stolz die geschnitzte Holztafel: hier, du liebst doch Kakteen und die Wüste, sagten sie und schüttelten den Kopf. Es ist ein ewiges Geplänkel zwischen uns – meine Liebe zum Wüstenleben. Sie leben hier, weil es billig ist, nicht weil sie von der landschaftlichen Schönheit eingenommen sind. Ich habe die Wüste gewählt. Sie finden die Landschaft zu karg, vermissen Wasser und Grün. Ich erfahre die Kargheit als Qualität, die Landschaft als zu bespielende Bühne. In dieser Weite, wo so wenig definiert ist, werde ich immer wieder gezwungen, meinen eigenen Lebensraum zu definieren. Wieviel Platz, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, brauche ich, um mich nicht eingeengt zu fühlen? Wieviel Freiraum ertrage ich, bevor ich mich verloren fühle? Es ist nicht nur der Ort, der herausfordert. Es ist in gleichem Masse die Zeit, die anders erfahren wird hier draussen – sie ist so offen, wie sie sein kann, nur durch Tag und Nacht bestimmt und nicht durch die Aufsplitterung in kleinste Zeiteinheiten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. So scheinen die Uhren denn mal schneller, mal langsamer zu ticken als an andern Orten – eine rein subjektive Erfahrung ist die Wüstenzeit bestimmt. Nirgendwo sonst kann man mit seinen Zeitschätzungen so daneben hauen wie hier. (Und eine Verabredung um drei Uhr Wüstenzeit meint plus/minus zwei Stunden). Die Wüste verlangt nach einem selbstbestimmten Leben. In diesem Sinne könnte die Inschrift “Liliane’s Place” nicht passender sein. Hier ist der Ort, an dem man gezwungenermassen in seinem Leben ankommt, und der Ort, von dem aus man in alle Richtungen weitergehen könnte, wenn man denn wollte.

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