Saturday, February 21, 2009

Dorfbrunnen


Vor hundert Jahren war die Oase von Twentynine Palms der Dorfbrunnen für die ganze High Desert, wo gequatscht und getratscht wurde. Unter High Desert muss man sich in diesem Fall ein Gebiet vorstellen, das immerhin circa 50 Meilen vom einen Ende bis zum andern misst. Von da aus wurde die Gegend besiedelt. Heute hat mittlerweile jeder sein eigenes Wasserloch gegraben oder kriegt wie ich sein Wasser von der Stadt geliefert, ganz unspektakulär durch die Röhre. Wo soll denn bitteschön jetzt gequatscht und getrascht werden? Die Kasse im Supermarkt ist zu ungemütlich. Zudem fährt man hier nicht täglich meilenweit zum nächsten Supermarkt. Aber Tratsch ist schliesslich tägliches Brot. Also haben wir hier draussen das Internet erfunden. Es soll scheints auch in Städten ganz praktisch sein, aber hier ist es für Alt und Jung zum Draht zur Welt geworden – und mit alt meine ich bisweilen auch steinalt. Meine 90 jährige gehbehinderte Nachbarin, chattet mir ihren Freundinnen und spielt stundenlang online Poker, wenn sie nicht gerade rechtslastige Polithetze durch die Gegend schickt. (Ha, hat auch nichts genützt). Viel lokaler Aktivismus läuft übers Netz hier draussen – der virtuelle Dorfbrunnen funktioniert hervorragend. So formieren und informieren sich denn die weit verstreuten Gegner einer Expansion der Marinebasis am östlichen Ende der High Desert online. Und am westlichen Ende wird gegen einen Korridor von Hochspannungsleitungen für Los Angeles gekämpft, der mitten durch unberührtes Wüstengebiet geplant ist. Und wie an jedem Dorfbrunnen brodelt auch hier die Gerüchteküche. DesertRose kann man nicht trauen, hab ich gelernt, während Rattlesnake4 einen guten Riecher für das Neueste und vor allem Wahre hat. So gehört es denn zu meinem täglichen Ritual, mich kurz in den Dorfbrunnen einzuloggen. Ich will ja schliesslich nicht die Chance für ein Kolumnenthema im Cyberspace verpuffen lassen.

No comments: