Saturday, September 22, 2007

Winnetou & Co.


Es ist nicht nur die New York Times, die sich wundert und letzthin dem Phänomen eine grosse Geschichte gewidmet hat – es sind auch meine Verwandten in Gallup, New Mexico, die einen Indian Trading Post haben, die sich immer wieder kopfschüttelnd fragen: wie kommt es, dass Busladungen voll deutscher Touristen begeistert Türkisschmuck einkaufen und bei Wildwest-Souvenirs entzückt in Kaufrausch geraten. Nicht dass sie etwas gegen Kaufrausch hätten. Aber der Grad der Verzückung über alles Indianische per se ist doch etwas auffallend. Die Antwort ist natürlich Karl May, der erfolgreichste deutsche Autor aller Zeiten. Hundert Millionen Bücher hat er verkauft, vielleicht zweihundert Millionen, wenn man die Übersetzungen dazu rechnet. Und er hat das deutsche, aber auch das europäische Bild von Cowboys und Indianern und von Amerika im weiteren Sinne für mindestens ein Jahrhundert geprägt. Dass Karl May seinen ersten Indianer im Alter von 66 Jahren traf - auf seiner ersten Amerikareise, lange nachdem er Winnetou und Old Shatterhand zum Leben erweckt hat – hat kaum jemanden je gestört. Es ist ein Zeugnis für seine Imagination und Erzählkunst. Karl May’s Quellen waren Erlebnisberichte von Siedlern. Man nimmt an, dass er seine Geschichten und Figuren im Gefängnis ersonnen und zu schreiben begonnen hat, wo er mehrere Jahre für Diebstahl und Schwindel abgesessen hat. Dass es in Deutschland Festspiele gibt, bei denen Deutsche als Apachen und Navajos verkleidet, rumrennen, kann kein Amerikaner so richtig glauben und Alex schon gar nicht. Alex ist Navajo und arbeitet im besagten Indian Trading Post in Gallup. Er versteht nicht, warum die deutschen Touristen manchmal verzückt auf seine langen Zöpfe zeigen. Wenn sie schon alles über uns wissen, warum dann nicht, dass mit nacktem Finger auf jemanden Zeigen und Anstarren bei uns der Inbegriff von Unhöflichkeit ist, fragt er und lacht trotzdem gutmütig.

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