Wednesday, September 12, 2007

Legendenbildung


Man kann das Phänomen hier wohl kaum als “urban legend” bezeichnen, denn urban ist es wahrlich nicht an diesem gottverlassenen Stück der Route 66. Die kleine Stadt Amboy, die am nächsten beim Schuhbaum liegt, ist verlassen – tot, von einem Tag auf den andern, als damals in den Sechzigern der Interstate 40 die gemächliche Route 66 ersetzt hat. Ich fahre alle paar Monate an der Geisterstadt vorbei, die nun einer gekauft hat und wieder in Schwung bringen will. Aber da ist noch nichts von Leben. Und dann, eines Morgens, als ich auf dem Weg nach New Mexico bin, ist plötzlich dieser Baum da, an dem hunderte von Schuhen hängen, zusammengeknüpft an den Schuhbändeln und hochgeworfen bis sie an einem Ast hängenbleiben. Bin ich blind? War der immer hier und ich hab ihn nie gesehen, weil man eh nichts sieht, wenn man kurz nach Sonnenaufgang gegen Osten fährt? Nein, glaub ich nicht. Der muss neu sein. Ich bin schliesslich weitsichtig, nicht kurzsichtig. Ich halte an und mache ein Photo – wenn schon mal eine Kolumne am Wegrand wächst. Ich fahre weiter und überlege mir, ob die Reisenden zwischen Las Vegas und Palm Springs hier ihre alten Schuhe entsorgen, nachdem sie in den Outlet Malls mehr Schnäppchen gemacht haben als ihr Koffer fasst. Wieder zuhause, finde ich raus, dass keiner wirklich weiss, woher das Ritual des Schuhewerfens stammt und was es bedeuten soll. Hängen die Schuhe an elektrischen Leitungen, in LA zum Beispiel, nimmt man an, dass es sich um Shoefiti handelt – das Markieren von Gang-Territorium mit Schuhen.
Es könnten aber auch Streiche an Betrunkenen sein, wird eingeräumt. Andere wiederum sagen, der Schuhwerf-Ursprung sei die Freude über das Ende der Militärausbildung. Was gesicherte Information ist: Auf dem Internet kursieren Bilder genau dieses Baumes von 2002 – mit viel weniger Schuhen dran zwar, aber trotzdem. Und ich denke, ich gehe mit offenen Augen durch die Welt…

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