Saturday, April 21, 2007

Starkstrom


Seit acht Monaten ist Eleanor meine Nachbarin. Sie hat sich ein kleines Haus bauen lassen am Hügel unter mir, glücklicherweise nicht mitten in meiner Aussicht. Eleanor ist 86 und Grundstücksmaklerin. Zum ersten Mal gesehen hab ich sie, als sie vor meinem Haus vorgefahren kam und mich gebeten hat, zu unterschreiben, dass sie ihre Stromleitungen über mein Land ziehen lassen darf. Ihr Haus war schon lange fertig gebaut, aber der Asgeier von Baumeister hatte sich nicht darum gekümmert, die Rechte vor Baubeginn einzuholen. Ich habe Eleanor in mein Haus gebeten und ihr die Aussicht gezeigt. Aha, das heisst dann wohl keine Überlandleitungen, hat sie gesagt. Eleanor hat ein Stück Land verkauft, damit sie sich die unterirdische Stromleitung leisten konnte. Ich sehe Eleanor selten. Wenn ich ab und zu an ihre Tür klopfe, macht sie zwar auf und ist nett aber reserviert. Und meine Versuche, sie zum Kaffee einzuladen, lässt sie mit vagen Ausflüchten versanden. Aber dann habe ich angefangen, Emails von ihr zu erhalten. Lange Emails mit Familiengeschichten oder Grundstückspreis-Analysen. Einmal hat sie mich in ihre Kirche eingeladen – The First Baptist Church on Split Rock. Da war ich diejenige mit den Ausflüchten. Kürzlich ist ihr einer mit einem schwarzen kleinen Auto mitten durchs Grundstück gefahren, hat sie mir geschrieben und mich gebeten, ebenfalls Ausschau zu halten. Da hat sie sich überlegt, eine Schusswaffe zu kaufen. Aber sie hat Angst vor Schusswaffen, auch wenn sie sonst ziemlich unerschrocken ist. So hat sie denn auf ihre alten Tage angefangen, sich mit Computern auseinanderzusetzen. Nun jongliert sie versiert mit Betriebssystemen. RAM und ihrer Makler-Software. Und zwischendurch übt sie Orgel für ihre Kirche. Mich braucht sie nur als Email-Empfängerin über der Grundstücksgrenze. Aber sie mag es, wenn abends die farbigen Lichter vor meinem Haus brennen, schreibt sie.

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