Wednesday, September 24, 2008

Sozialkontrolle


Für zwei Monate lebt mein Neffe Weston bei mir. Er ist jung, malt und muss nachdenken, hat er gesagt, als er mich angefragt hat, ob er mein Studio benützen darf, um hier draussen in der Einsamkeit der Mojave ohne Ablenkung zu einem regelmässigen Arbeitsrhythmus zu finden. Was in diesem Zusammenhang ebenfalls hilft – er darf zur Zeit nicht Autofahren, weil er vor einem halben Jahr in Phoenix einen über die Hutschnur getrunken hat. Er kann also nicht abhauen, wenn ihm die Einsamkeit zuviel wird. Er muss einfach arbeiten. Wir haben einen täglichen Zeitplan entwickelt. Er malt draussen im Studio, ich schreibe drinnen im Haus, wir treffen uns zum Mittagessen und zum Abendessen, danach schauen wir Filme. Das Studio ist übrigens nicht gekühlt. Der Ärmste ist wirklich hart im Nehmen. Nur Phoenix ist noch heisser. Und weil es da draussen so heiss ist, kommt Weston oft rein, um Wasser zu holen. Wobei er mich dann ertappt, wie ich meine eigene, ihm auferlegte Arbeitsmoral nicht verfolge. Am Anfang hat er geflissentlich übersehen, dass ich immer gerade dann telefoniere, wenn er Wasser braucht. Dann hat er übersehen, dass ich ihm mehr Kaffee anbiete als er für eine ruhige Hand brauchen kann – nur damit ich nicht schreiben muss. Heute sagt er, die Küche sei zu sauber, er dulde Putzen nicht als Ausrede, um nicht zu schreiben. Er hat einen durchschauenden Blick und ein dreckiges Lachen entwickelt, was er gnadenlos einsetzt, wenn ich mich in Ausflüchte verstricke. Warum man als Schreiber eigentlich immer davonlaufen muss, fragt er und setzt die Regel in Kraft, dass er jeden Tag lesen will, was ich schreibe. Wenns nicht genau zehn Seiten sind, krieg ich Schelte. So schön, dass du unserm Sohn eine gute Arbeitsmoral beibringst, sagen mir seine Eltern. Mein Versuch einer Richtigstellung verstehen sie als Bescheidenheit meinerseits - Hilfe! Ich habe ein Monster gezüchtet, wie sein Selbstportrait zeigt.

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